Wie sich das Dilemma zwischen Ladezeit und Alterung bei Lithium-Ionen-Zellen lösen lässt
Wenn Lithium-Ionen-Zellen schnell geladen werden, altern sie auch schneller. Mit der simulationsgestützten Entwicklung von alterungsminimalen Schnellladeverfahren lässt sich das verhindern.
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Werden Lithium-Ionen-Batterien schnell geladen, altern sie. Die hohen Ladeströme verursachen Lithium-Plating auf der Anodenoberfläche und führen zu einem irreversiblen Kapazitätsverlust. Dennoch existieren Potenziale, die Ladezeit um über 30% zu reduzieren ohne einen zusätzlichen Kapazitätsverlust zu verursachen. Dieser Artikel zeigt, wie derartige Schnellladeverfahren gestützt durch präzise, validierte Batteriemodelle entwickelt werden können. Diese technische Lösung ist eine wesentliche Voraussetzung, um Schnellladeverfahren wirtschaftlich erfolgreich zu machen.
Die Schnellladung von Lithium-Ionen-Batterien spielt in zahlreichen Applikationen eine wesentliche Rolle. Sie führt zu Vorteilen für die Nutzer und macht neue Nutzungsformen möglich. Was wäre, wenn Batteriesysteme in weniger als 15 Minuten geladen werden könnten? Das Reichweitenproblem der Elektromobilität wäre technisch gelöst. Elektrische Gabelstapler ließen sich im Mehrschichtbetrieb nutzen, nachgeladen wird beim Schichtwechsel. Smartphones könnten nach einem Boost von wenigen Minuten für Stunden verwendet werden. Die Batterien werden so maximal ausgenutzt, der Betrieb wird günstiger und mit den erforderlichen Ressourcen schonender umgegangen.
Technisch ist dies derzeit noch nicht möglich. Ursache ist, dass das Alterungsrisiko umso stärker steigt, je schneller Batterien geladen werden. Die Schnellladung schädigt Batterien, indem sie zu einem irreversiblen Kapazitätsverlust führt und so die Lebensdauer reduziert. Dies ist ein klassisches Dilemma: Entweder Schnellladung (und kurze Lebensdauer) oder lange Lebensdauer (und langsame Ladung).
Wie dieses Dilemma gelöst werden kann, ist Inhalt dieses Artikels. Nach Einführung der erforderlichen Grundlagen, wird eine Methode vorgestellt, die unterstützt durch Batemo Cells (hochpräzise Zellmodelle) die simulationsgestützte Entwicklung von alterungsminimalen Schnellladeverfahren mit MATLAB Simulink erlaubt. Erst dadurch wird die Schnellladung von Lithium-Ionen-Batterien technisch umsetzbar und damit auch wirtschaftlich sinnvoll.
Warum Zellen beim schnellen Laden schneller altern
Lithium-Ionen-Zellen sind, wie in Bild 1 gezeigt, immer gleich aufgebaut: Der positive Anschluss ist mit dem kathodenseitigen Stromableiter verbunden, auf dem das Kathodenmaterial aufgebracht ist. Um einen direkten elektrischen Kontakt zwischen Kathode und Anode zu verhindern, befindet sich zwischen den Elektroden ein elektrisch isolierender Separator, der mit einem flüssigen Elektrolyten getränkt ist. Das Anodenmaterial befindet sich ebenfalls auf einem Stromableiter, der mit dem negativen Anschluss verbunden ist.
Beim Laden werden Lithium-Ionen aus der Kathode ausgebaut, durch den Separator und Elektrolyt transportiert und in die Anode interkaliert. In Bild 1 ist dies durch orangene Pfeile gekennzeichnet. Das Ladegerät sorgt unter Energiezufuhr für den Elektronenfluss vom positiven zum negativen Anschluss, wodurch der Stromkreis geschlossen wird. Umso schneller geladen wird, umso mehr Lithium-Ionen werden pro Zeitschritt in die Anode eingebaut. Kommen zu viele Lithium-Ionen an der Anode an, wird es thermodynamisch günstiger, dass sich Lithium-Ionen metallisch als Lithium an der Anodenoberfläche abscheiden. Dieser Prozess wird als Lithium-Plating bezeichnet und ist in Bild 1 rot eingezeichnet. Lithium-Plating ist teilweise irreversibel und führt daher zu einem Kapazitätsverlust der Zelle. Dies ist der wichtigste Alterungsmechanismus beim Laden.
Ob normale Interkalation oder Lithium-Plating auftritt, entscheidet das separatornahe, elektrochemische Anodenoberflächenpotenzial Uan. Ist dieses kleiner gleich 0 V, findet Lithium-Plating statt, ist es größer als 0 V dagegen normale Interkalation. Das Anodenoberflächenpotenzial Uan ist damit ein Indikator für die Alterung während des Ladens. Leider ist Uan in der industriellen Forschung und Entwicklung nicht zugänglich, da eine direkte, fehlerfreie Messung in der Praxis nicht möglich ist. Einen Zugang bieten nur präzise, physikalische Modelle, die das Anodenoberflächenpotenzial Uan unter allen Umständen korrekt vorhersagen.
Die beiden unterschiedlichen Batteriemodelle im Vergleich
Derzeit kommen vorrangig zwei verschiedene Typen von Batteriemodellen zum Einsatz: Dies sind einerseits ersatzschaltbildbasierte, arbeitspunktlineare Verhaltensmodelle (ESB-Modelle), die das elektrische und thermische Verhalten mit Hilfe von mehrdimensionalen Parameterkennfeldern und Differentialgleichungen erster Ordnung nachbilden. Weil diese Modelle lediglich das Klemmenverhalten der Zelle, jedoch nicht die zugrundeliegenden physikalischen Prozesse abbilden, ist eine Vorhersage des Anodenoberflächenpotenzials mit diesen Modellen grundsätzlich nicht möglich und sie können nicht zur Entwicklung von Schnellladeverfahren verwendet werden.
Andererseits werden Modelle auf Basis der Finite-Elemente-Methode (FEM) verwendet, die die Mikrostruktur der Elektroden örtlich auflösen und durch Parameterkennfelder und partielle Differentialgleichungen beschreiben. Die Modellierung und Parametrierung ist dabei extrem aufwendig und die Rechenzeiten sind so groß, dass sie für eine industrielle Entwicklung nicht geeignet sind.
Für die Entwicklung von Schnellladeverfahren im industriellen Umfeld müssen die Schnelligkeit und einfache Bedienbarkeit der ESB-Modelle mit der Physikalität und Präzision der FEM-Modelle kombiniert werden. Diese neue Art der Modellierung muss die folgenden Anforderungen erfüllen:
- Physikalität: Alle relevanten physikalischen, elektrochemischen und thermischen Prozesse müssen präzise berechnet werden. Nur so wird das korrekte Anodenoberflächenpotenzial Uan erhalten.
- Zellspezifische Parametrierung: Die Modelle dürfen nicht generisch sein, sondern müssen an die eingesetzten Zellen angepasst werden.
- Globale Validität: Wenn Modelle die Basis für die Entwicklung bilden, muss sichergestellt und nachgewiesen sein, dass die verwendeten Modelle korrekt sind. Dies bedeutet, dass das Modell für beliebige Anregungen im gesamten vom Zellhersteller freigegebenen Betriebsbereich alle Größen korrekt vorhersagen muss. Nur wenn dies der Fall ist, ist ein Modell global valide.
Beispielhaft wird eine Auswahl der Mess- und Simulationsergebnisse der physikalischen Modellierung und zellspezifischen Parametrierung für die Batemo Cell der Zelle Samsung INR21700-40T vorgestellt. In Bild 2a sind Entladungen mit unterschiedlichen konstanten Strömen mit einer Entladedauer von etwa 5 Minuten (11,5 C) bis zu 10 Stunden (0,1 C) bei einer Umgebungstemperatur von 25 °C gezeigt. Das Modell sagt sowohl den stark nichtlinearen, stromabhängigen Spannungsverlauf als auch die Entwicklung der Zelltemperatur über den gesamten Ladezustandsbereich korrekt voraus. Das Verhalten bei Entladung mit verschiedenen konstanten Strömen mit einer Entladedauer von 15 Minuten (4 C) bei Umgebungstemperaturen von –20 bis 40 °C ist in Bild 2b dargestellt.
Bei –20 °C bricht zu Beginn der Entladung die Spannung auf ca. 3 V ein, bevor sie sich wieder erhöht. Dieser Effekt wird durch die komplexe Wechselwirkung der thermischen und elektrochemischen Vorgänge in der Zelle verursacht. Das Modell bildet diesen stark nichtlinearen Effekt genauso präzise wie die Verformung der Kennlinien und die korrekte Prädiktion der entnehmbaren Kapazität nach. Aus diesen und weiteren aus Platzgründen nicht gezeigten Messungen (Ladekurven, Ladepulse, Entladepulse, Profilmessungen, usw.), kann auf die globale Validität des Modells und somit auf die korrekte Prädiktion des Anodenoberflächenpotenzials geschlossen werden.
Die gezeigte Präzision wird für ebenfalls für andere Elektrodenmaterialien und beliebige Zellbauformen erreicht. Die Integration von Batemo Cells in die gängigen Simulationswerkzeuge ist einfach durchführbar, vor allem für die Simulationsumgebung MATLAB Simulink. So ist die Entwicklung von Schnellladeverfahren für alle am Markt verfügbaren oder prototypisch aufgebauten Zellen möglich.
Was zu einer optimalen Schnellladung gehört
Ein Schnellladeverfahren ist dann optimal, wenn es die Batterie unter Berücksichtigung der zulässigen Systemgrenzen in minimaler Zeit auflädt. Die Systemgrenzen sind dabei stets:
- Maximale Spannung Umax: Oberhalb der zulässigen Maximalspannung kommt es durch Zersetzung des Elektrolyten und der Kathodenmaterialien zu irreversibler Schädigung.
- Maximaler Strom des Ladegeräts Imax: Jedes Ladegerät kann nur einen gewissen maximalen Strom zur Verfügung stellen.
- Maximale Zelltemperatur Tmax: Oberhalb der zulässigen maximalen Zelltemperatur zersetzen sich die Zellmaterialien und es kommt zu signifikanter Alterung.
- Minimales Anodenoberflächenpotenzial U(an,min): Unterhalb des minimal zulässigen Anodenoberflächenpotenzials kommt es zu Lithium-Plating.
Wie im Simulink Modell in Bild 3a gezeigt, können aus den von der Batemo Cell simulierten Werten der Klemmenspannung U, des Klemmenstroms I, der Zelltemperatur T und des Anodenoberflächenpotenzial Uan optimale Ladeprofile berechnet werden. Dies wird durch einen einfachen P-Regler erreicht, der stets die Einhaltung der Systemgrenze sicherstellt, die zuerst erreicht wird. Für die Zelle Samsung INR21700-40T sind in Bild 3b für einen Anfangsladezustand von 0% und eine Umgebungstemperatur von 25 °C die optimalen Ladeströme gezeigt.
In Schwarz ist die schnellstmögliche Konstantstrom-Konstantspannung-Ladung (CC-CV) eingetragen, bei der es kurz vor der Umschaltung in die CV-Phase zu leichtem, reversiblem Lithium-Plating kommt. Wird wie in Rot eingezeichnet das Anodenoberflächenpotenzial Uan sehr knapp an der Grenze von 0 V geführt, wird die schnellstmögliche Schnellladung ohne zusätzliche Alterung erhalten. In der Praxis sollte ein Sicherheitsabstand zu 0 V eingehalten werden, das zugehörige realistische Ladeprofil ist in Orange zu sehen.
Bild 3c fasst die Ergebnisse zusammen und zeigt auf, dass in dem gezeigten Beispiel die Ladezeit in der Praxis um rund ein Drittel reduziert werden kann, ohne dass zusätzlich Alterung auftritt. Durch Simulationsreihen können in gleicher Art die optimalen Ladeströme für unterschiedliche initiale Ladezustände und Umgebungstemperaturen automatisiert bestimmt und so optimale Schnellladeverfahren entwickelt werden. Schnellladung ohne zusätzliche Alterung ist folglich möglich und das in der Einleitung genannte Dilemma bestmöglich lösbar.
Um Schnellladung erfolgreich in Produkten umzusetzen, genügt es allerdings nicht, nur die optimalen Ladeströme der Zellen zu bestimmen. Schnellladung betrifft alle Komponenten des Batteriesystems. Um technisch sinnvolle und für Nutzer bezahlbare Lösungen zu erhalten, sind Gesamtsystemoptimierungen unerlässlich. Anhand von zwei Beispielen wird aufgezeigt wie dies simulationsbasiert sehr einfach erreicht werden kann.
Das Thermomanagement ist entscheidend
Die Temperierung von Batterien ist bei kalten Umgebungstemperaturen absolut entscheidend. Zu diesem Zweck werden Batteriesysteme im Winter geheizt. Im Kontext der Schnellladung stellt sich die Frage wie stark die Ladezeit bei Erhöhung der Heizleistung reduziert wird. In Bild 4a sind die optimalen Ladeströme für unterschiedliche Anfangstemperaturen der Batterie zu sehen. Die Punkte mit 80% Ladezustand werden umso schneller erreicht, umso wärmer die Batterie ist. Der Zusammenhang ist allerdings stark nichtlinear und die Reduktion der Ladezeit sättigt bei hohen Temperaturen. Mit Hilfe derartiger Simulationsreihen kann ein Optimum an Aufwand für die Heizung und Reduktion der Ladezeit identifiziert werden.
Die richtige Auslegung von Ladegeräten
Bei der Auslegung der Ladegeräte ist häufig unklar für welchen maximalen Ladestrom diese dimensioniert werden müssen. In Bild 4b sind die optimalen Ladeprofile für unterschiedliche maximalen Ladeströme eingetragen. Je höher der maximale Ladestrom ist, desto schneller werden die Punkte mit 80% Ladezustand erreicht. Auch hier ist der Zusammenhang stark nichtlinear und sättigt für hohe verfügbare Ladeströme: Diese können ab einer bestimmten Größe nur sehr kurz appliziert werden und tragen somit zunehmend weniger zu einer schnellen Ladezeit bei. Unter Berücksichtigung der Kosten pro Ampere verfügbarem Ladestrom, kann so präzise bestimmt werden, wie teuer die Reduktion der Ladezeit ist. Dies ermöglicht die gezielte ökonomisch-technische Optimierung von Schnellladeverfahren.
Simulation mit Batemo Cells und MATLAB Simulink
Bei Schnellladung kommt es durch Abscheidung von Lithium auf der Anodenoberfläche zu irreversibler Kapazitätsalterung der Batterie. Der Indikator dieses Prozesses ist das Anodenoberflächenpotenzial. Durch Batemo Cells als zellspezifische, physikalische Batteriemodelle, für die globale Validität nachgewiesen ist, kann das Anodenoberflächenpotenzial präzise prädiziert werden. Dies erlaubt die zeiteffiziente, simulationsgestützte Entwicklung von alterungsminimalen Schnellladeverfahren mit MATLAB Simulink. So lässt sich im Vergleich zu konventionellen CC-CV-Ladeverfahren, die Ladezeit um rund ein Drittel reduzieren ohne dass zusätzliche Alterung auftritt.
Dies erlaubt die optimale Abstimmung aller Komponenten des Batteriesystems und so die Entwicklung schnellladefähiger Batteriesysteme mit hoher Lebensdauer. Die dadurch erreichbaren Nutzervorteile ermöglichen, dass Batteriesysteme in vielen Applikationen nachhaltig marktfähig werden. Dies ist ein wichtiger Baustein zur ressourcenschonenden, effizienten Energienutzung und wesentlich, um die langfristigen Klimaziele zu erreichen.
* Dr.-Ing. Michael Schönleber verantwortet als technischer Geschäftsführer die Forschung und Entwicklung der Batemo GmbH.
* Dr.-Ing. Jan Richter verantwortet als Geschäftsführer die Finanzen und den Vertrieb bei der Batemo GmbH.
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