Schaltungsschutz Thyristor-Crowbar: Wenn der Kurzschluss die bessere Lösung ist

Von Martin Schulz, Julian Pitman, Francisco Llopis, Llorenç Latorre * |

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Die schädlichste Störung in der Stromversorgung ist Überspannung. Im Fehlerfall eines Netzteils mit dauerhafter Überspannung als Folge, schützt die Crowbar-Schaltung die Folgesysteme vor Zerstörung.

Bild 1: Einfache Überspannungsbegrenzung mittels Crowbar.
Bild 1: Einfache Überspannungsbegrenzung mittels Crowbar.
(Bild: Martin Schulz)

Das Beherrschen von Fehlersituationen in leistungselektronischen Installationen jeglicher Größe ist eine der Herausforderungen, die Entwickler wiederkehrend zu bewältigen haben. Zwei Fehlerfälle mit besonders zerstörerischer Kraft, sowohl auf das versorgende System als auch auf die versorgte Einheit, sind Kurzschlüsse und Überspannungen. Im Kleingerätebau lassen sich Über- und Kurzschluss-Ströme häufig mit elektronischen Strombegrenzungen oder einer Schmelzsicherung handhaben. Fällt aber die Beschaltung eines Netzteils ungünstig aus, ist es oft eine Überspannung am Netzteilausgang, die zur Bedrohung für die angeschlossene Elektronik wird. Schmelzsicherungen sprechen in diesem Fall eventuell nicht an, weil die Ausgangsspannung zwar zu hoch ist und den zulässigen Wert überschreitet, der gewählte Auslösestrom der Sicherung aber nicht oder nicht schnell genug zum Fließen kommt. Abhilfe schafft in solchen Fällen eine als Crowbar bezeichnete Idee – die Gefahrenabwehr mit der Brechstange.

Gezielt den Kurzschluss in der Schaltung erzwingen

Die besondere und wichtige Aufgabe der Crowbar ist, dass ihre Überspannungserkennung einen Thyristor zündet, der gezielt einen Stromfluss erzwingt, was sowohl die Überspannung reduziert als auch die vorgelagerte Sicherung zuverlässig auslöst. Bild 1 zeigt dazu eine einfache Schaltung für kleine Leistungen.

Ist die Durchbruchspannung der Z-Diode DZ präzise abgestimmt höher als die zulässige Eingangsspannung, dann wird der Thyristor Q1 bei Überschreitung dieser Grenze gezündet. Dabei sinkt die Ausgangsspannung auf den Wert der Differenz der Vorwärtsspannungen des Thyristors Q1 und der Diode D1 in einen Bereich unter 2 V. Gleichzeitig wirkt der Thyristor wie ein Kurzschluss und der sich ergebende Strom löst die Sicherung F sicher aus. Für den Fall, dass der Thyristor einen weit größeren Strom tragen kann als die Sicherung, kann nach Beseitigung des initialen Fehlers und Ersatz der Sicherung eine Wiederinbetriebnahme erfolgen, ohne elektronische Komponenten austauschen zu müssen. Die Verwendung einer solchen Crowbar ist jedoch nicht auf kleine Leistungen oder Netzteile beschränkt, sondern lässt sich durch entsprechend gewählte Ansteuerverfahren auch auf weitere Szenarien erweitern.

Mit modernen Thyristoren lassen sich Crowbar-Schaltungen verwirklichen, die in Installationen wie Versorgung von Metrostationen oder Industrieanlagen zum Einsatz kommen und das Auslösen von Schutzmechanismen an leistungsstarken Mittelspannungsanlagen ermöglichen. Ihr zuverlässiges Eingreifen im Fehlerfall schützt dabei Investitionswerte in Millionenhöhe.

Der Aufbau und die Auslegung solch einer Schutzbeschaltung ist wegen der zu handhabenden Energien allerdings eine weit größere Herausforderung als beim Einsatz von TO- oder SMD- basierten Bauteilen in Schaltnetzteilen. Die Auswahl einer geeigneten 3-phasigen Anordnung, die Wahl der passenden Komponenten und der physikalisch-mechanische Aufbau stellen den Entwickler hier vor erhebliche Schwierigkeiten.

Bild 2: Mögliche Ausführungen dreiphasiger Crowbar-Anordnungen.
Bild 2: Mögliche Ausführungen dreiphasiger Crowbar-Anordnungen.
(Bild: Littelfuse)

Generell existieren für die Erfüllung dieser Aufgabe zwei zu untersuchende Schaltungstopologien, die das Einschalten eines dreiphasigen Kurzschlusses ermöglichen, beide Varianten sind in Bild 2 dargestellt.

Auch Umrichter brauchen einen schnell wirksamen Schutz

Neben dem Einsatz als Überspannungsschutz kann eine Crowbar auch dem Schutz von Umrichtertechnik dienen. Schmelzsicherungen reagieren zu langsam, um Halbleiter vor der Zerstörung zu schützen. Tritt ein potenziell gefährlicher Über- oder gar Kurzschluß-Strom in einem Umrichter auf, kann dieser durch Zünden der Crowbar schnell auf die Thyristoren übergehen, bis die vorgeschaltete Sicherheitsinstanz das Netz abschaltet.

Die große Herausforderung besteht darin, dass hierbei nicht ein DC-Zwischenkreis, sondern ein Mittelspannungstransformator mit sehr geringer Impedanz die versorgende Einheit ist. Damit gehen Kurzschluss-Ströme mit einer zu erwartenden Magnitude im Bereich jenseits von 100 kA einher.

Bild 3: 
Abschätzung des Kurzschluss-Stromes.
Bild 3: 
Abschätzung des Kurzschluss-Stromes.
(Bild: Littelfuse)

Aus der Simulation eines entsprechenden Transformators stammt die Abschätzung des Kurzschluss-Stromes in Bild 3. Die Auswahl eines Thyristors wird dadurch erschwert, dass nur wenig Bauteile existieren, die für Ströme dieser Größenordnung dimensioniert sind. Die leistungsstärksten Thyristoren, die derzeit verfügbar sind, erreichen Nennströme bis jenseits der 8.000 A. Da die Anwendung eher in die Kategorie Pulse-Power fällt, ist der Spitzenstrom und das zu erwartende Stoßstromintegral, der I2t-Wert, von größerer Bedeutung als der Dauerstrom, den das Bauelement verträgt.

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Ein Thyristor vom Typ N7905FE220, der die gewünschte 2.200-V-Sperrspannung aufweist, hat bei geeigneter Kühlung eine Stromtragfähigkeit von bis zu IT(AV)M=7.850 A und kann zerstörungsfrei einem Stoßstrom von ITSM=117 kA standhalten. Das für die Komponente ausgewiesene Stoßstromintegral beträgt I2t=68,45•106 A2s.

In einer Zeitspanne von 50 ms, die bis zur Auslösung übergeordneter Schutzmechanismen zu berücksichtigen ist, entsteht in den Thyristoren eine erhebliche und potenziell zerstörerische Wärmeentwicklung. Simulation ist hier der bevorzugte Weg, um abschätzen zu können, mit welchen Werten im Fehlerfall zu rechnen ist.

Bild 4: 
Temperaturentwicklung am Thyristor im Kurzschlussfall.
Bild 4: 
Temperaturentwicklung am Thyristor im Kurzschlussfall.
(Bild: Littelfuse)

Bild 3 zeigt den Stromverlauf bei Kurzschluss und Bild 4 die korrespondierende Temperaturentwicklung des Thyristors N7905FE220, der in Dreieckschaltung betrieben wird (Bild 2). Als Daumenregel gilt, dass ein Puls-Betrieb wie in diesem Fall bis zu einer Junction-Temperatur von 300-350 °C noch vertretbar ist. Mit den hier erreichten 252 °C eignet sich das Bauteil also, um den gewünschten Betriebsfall sogar zerstörungsfrei zu handhaben. Es stellt sich aber sofort die Frage nach Optimierung, weil der Applikation „Crowbar“ einige Besonderheiten innewohnen.

Den temporären Kurzschluss sicher garantieren

Die Crowbar ist das Herzstück einer Schutzbeschaltung, die den temporären Kurzschluss zum Ziel hat, um eine übergeordnete Sicherungsinstanz auszulösen. Dies können Schmelzsicherungen oder mechanische Lasttrenner sein. Die zu erwartende Stoßbelastung der dazu eingebauten Halbleiter ist dabei so hoch, dass die gesamte Schaltungskomponente, ähnlich wie eine Schmelzsicherung, nach ihrer einmaligen Aktivierung aus Zuverlässigkeitsgründen durch eine neue ersetzt werden muss. Hierbei ist es für den Anlagenbetreiber unerheblich, ob die im Aufbau enthaltenen Thyristoren noch voll funktionsfähig sind.

Damit ergibt sich für die Halbleiter nicht zuerst die Anforderung, den Fehlerfall elektrisch zu überleben. Vielmehr gilt, dass der Thyristor den Kurzschluss sicher auslösen muss und ihn bis zur Auslösung der übergeordneten Sicherungsbeschaltung aufrechterhält. Hier kommt die Besonderheit von Bauteilen auf Basis von Scheibenzellen zum Tragen, die sich aus dem sandwichartigen, in Bild 5 dargestellten, Aufbau ergibt.

Bild 5: 
Querschnitt durch einen Scheibenzellen-Thyristor.
Bild 5: 
Querschnitt durch einen Scheibenzellen-Thyristor.
(Bild: Littelfuse)

Scheibenzellen sind in einem Verbund – dem sogenannten Stack – mittels hoher Andruckkräfte montiert. Eine elektrische Schädigung am Silizium, zum Beispiel durch lokal zu hohe Stromdichten oder zu intensive Wärmeentwicklung, lässt die Siliziumscheibe an diesen Stellen zu einem Leiter werden. Hiermit ist der Thyristor als Bauelement zwar zerstört, die Funktion „sicher einen Kurzschluss herstellen“ bleibt aber erhalten.

Bild 6: Crowbar-Stack mit im Dreieck geschalteter Thyristoranordnung.
Bild 6: Crowbar-Stack mit im Dreieck geschalteter Thyristoranordnung.
(Bild: Littelfuse)

Die Scheibenzelle, anders als Halbleiter auf Basis von Löt-Bond-Verbindungstechnik, weist die Eigenschaft Short on fail auf. Im Fehlerfall ist also sichergestellt, dass der gewünschte Kurzschluss Bestand hat. Der zur Veranschaulichung in Bild 6 abgebildete Stack mit seinen Spannvorrichtungen sorgt für die Aufrechterhaltung der Montagekräfte, die Zelle kann sich also in axialer Richtung nicht ausdehnen.

Die entstehende Druckwelle kann das Gehäuse sprengen

Grenzen findet diese Bauform dann, wenn die an der Scheibenzelle umgesetzte Energie hoch genug ist, um in der Zelle einen Lichtbogen zu zünden. In Verbindung mit Plasma, das sich dabei in der hermetisch dichten Zelle bildet, führt die thermische Energie des Lichtbogens zu einer Druckwelle. Bei entsprechend hohem Energiegehalt kann die Druckwelle das Gehäuse sprengen.

Genau diesen Fall des Gehäusebruchs, englisch Case rupturing, gilt es zu vermeiden. Zum einen kann die Verformung des Gehäuses die Schutzfunktion beeinträchtigen, zum anderen stellen Keramikscherben echte Geschosse dar, die von der Druckwelle getrieben ein erhebliches Risiko für Verletzung oder Beschädigung weiterer Anlagenteile bergen.

Wie viel Energie für die Zerstörung nötig ist hängt maßgeblich von Aufbau, Größe und thermischer Kapazität der Scheibenzelle ab. Hierdurch ergibt sich für die Crowbar-Applikation die Möglichkeit, eine reduzierte Baugröße zu wählen, die nur hinreichend groß sein muss, um im Fehlerfall mechanisch intakt zu bleiben.

Wiederholungen der Simulation mit kleineren Komponenten lassen wie erwartet erkennen, dass sich höhere Sperrschicht­temperaturen einstellen. Wie in Bild 7 zu sehen ist, erreicht ein Thyristor des Typs N5715EE240 bereits Temperaturen bis über 260 °C.

Bild 7: 
Temperaturverlauf bei Einsatz eines N5715EE240.
Bild 7: 
Temperaturverlauf bei Einsatz eines N5715EE240.
(Bild: Littelfuse)

Die gleiche Vorgehensweise mit einer Scheibenzelle mit weit kleinerem Gehäuse beim Typ N3533ZD220 führt auf das in Bild 8 ersichtliche Ergebnis – die maximal tolerierbare Temperatur von 350 °C wird massiv überschritten.

Bild 8: 
Temperaturverlauf bei Einsatz eines N3533ZD-Types mit massiver Überschreitung der zulässigen Grenztemperatur.
Bild 8: 
Temperaturverlauf bei Einsatz eines N3533ZD-Types mit massiver Überschreitung der zulässigen Grenztemperatur.
(Bild: Littelfuse)

Aus dem Ergebnis zum Temperaturverlauf ist zu schließen, dass der Thyristor mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit elektrisch zerstört wird. Die Scheibenzelle als solche bleibt aber aller Voraussicht nach intakt. Das viel kleinere Bauelement kommt für die Applikation also in Betracht, zumal die kleineren Abmessungen der Scheibe ein im Aufbau höchst willkommenes Extra darstellen. Zum Vergleich zeigt Bild 9 die maßstäbliche Gegenüberstellung der drei betrachteten Komponenten.

Bild 9: 
Größenvergleich 
verschiedener 
Thyristortypen.
Bild 9: 
Größenvergleich 
verschiedener 
Thyristortypen.
(Bild: Littelfuse)

Für Tests wurden Stacks wie in Bild 6 aufgebaut und mit Scheibenzellen vom Typ N3533ZD220 bestückt. Anschließend erfolgte die Einschaltung der Crowbar unter realen Bedingungen. Bild 10 ist ein Foto der Anordnung nach Abschluss des Tests.

Bild 10: 
Crowbar, mittig 
im Bild, nach 
Kurzschluss-Test.
Bild 10: 
Crowbar, mittig 
im Bild, nach 
Kurzschluss-Test.
(Bild: Littelfuse)

Im Bild ist eine geringfügige mechanische Verformung zu erkennen, eine Folge der bei über 100 kA auftretenden Lorenz-Kräfte. Ebenfalls ist zu sehen, dass die Scheibenzellen intakt geblieben sind und kein Gehäuseschaden an den Halbleitern entstanden ist. Alle nachgelagerten Anlagenteile sind geprüft und als unbeschädigt befunden worden, die Schutzfunktion ist also wie erwartet eingetreten.

Nach Demontage sind die Stacks zur Untersuchung zerlegt und die Thyristoren im Detail analysiert worden. Gemäß der Abschätzung sind in jedem Test einige der Thyristoren zwar elektrisch unbrauchbar geworden, die in ihnen lokal durchlegierten Siliziumscheiben haben aber den Kurzschluss mit so niedriger Impedanz aufrechterhalten, dass keine zerstörerische Plasma- und Lichtbogenbildung stattgefunden hat. Nach der Öffnung der demontierten Bauelemente im Analyselabor sind die Spuren der Zerstörung im Inneren der Kapseln in Bild 11 deutlich sichtbar.

Bild 11: 
Innenansicht einer elektrisch zerstörten Scheibenzelle.
Bild 11: 
Innenansicht einer elektrisch zerstörten Scheibenzelle.
(Bild: Littelfuse)

Fazit: Ein Überspannungsfehler am Ausgang eines Mittelspannungstransformators kann für ganze Industrieanlagen verheerende Folgen haben. Daher stellen Entwickler an Crowbar-Anordnungen, ähnlich wie an Schmelzsicherungen, sehr hohe Ansprüche in Bezug auf ihre Zuverlässigkeit. Die im Kurzschlussfall, wenn auch nur kurzfristig, auftretenden Belastungsspitzen sicher aufzufangen und dabei die thermisch-mechanische Zerstörung der Schutzbeschaltung zu verhindern, ist Teil dieser großen Herausforderung. Das Know-how, das Halbleiterhersteller wie Littelfuse in dieser Applikation gesammelt haben hilft den verantwortlichen Entwicklern, die Komponenten und Subsysteme zu wählen, die diesen Anforderungen gewachsen sind.

Entwicklerforum Leistungselektronik

Chips, Tipps und Tools für effiziente Leistungselektronikentwicklung

Entwicklerforum Leistungselektronik

Am 18. Oktober 2022 wird in Würzburg erstmals das Entwicklerforum Leistungselektronik stattfinden. Den Eröffnungsvortrag hält Dr. Martin Schulz, Global Principal Application Engineer bei Littelfuse Europe. Das Entwicklerforum ist eine von insgesamt sechs Themenkonferenzen am 18. und 19. Oktober 2022 mit gemeinsamer Ausstellung rund um die Leistungselektronik. Der fachspezifische Kern betrifft alle Anwendungsfelder von Komponenten, Schaltungsentwurf, Anwendung, Energieerzeugung, Energietransport, Stromversorgung bis hin zur Antriebselektronik, E-Mobility und dem Power Management. Nutzen Sie den fachlichen Branchen-Austausch untereinander, diskutieren Sie die vorgestellten Best-Practice-Beispiele.

* * Dr. Martin Schulz ... ist Global Principal Application Engineer bei Littelfuse Europe. * Julian Pitman ... arbeitet bei Littelfuse UK * Francisco Llopis und Llorenç Latorre ... arbeiten bei Power Electronics Spain.

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