Ratgeber: Lebensdauer Frag den Schulz! Wie lange hält Leistungselektronik?
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Der Anspruch an die Lebensdauer von Halbleitern und leistungselektronischen Systemen ist hoch. Je nach Branche werden 20 Jahre und mehr zuverlässiger Betrieb verlangt. Weil Leistungselektronik hohen thermomechanischen Belastungen ausgesetzt ist, unterliegt sie dem Verschleiß. Dr. Martin Schulz erklärt die Einflüsse und Möglichkeiten einer Lebensdauerprognose.

Dr. Martin Schulz: „In der Maschinenbau-Mechanik ist es offensichtlich, dass bewegliche Teile unter Reibung verschleißen und die Gegenmaßnahme ist ebenfalls klar: Schmierung. Eine Schmierung verringert die Reibung und damit den Verschleiß – sie verlängert die Lebensdauer. Auch Komponenten der Leistungselektronik unterliegen dem Verschleiß. Und der ist den thermomechanischen Prozessen geschuldet, die in jedem Chip stattfinden. Diese Prozesse bleiben dem Auge verborgen und dadurch ergeben sich drei grundlegende Fragen:
- Woran liegt es, dass Leistungshalbleiter in ihrer Lebensdauer begrenzt sind?
- Was ist der größte Einflussfaktor?
- Wie kommt man zu einer robusten Abschätzung, wie lange ein Halbleiter durchhält?
Die ersten beiden Fragen lassen sich mit Blick auf den Aufbau eines Leistungshalbleiters, wie er in Bild 1 gezeigt ist, leicht beantworten. Dieser Aufbau besteht aus einer beidseitig mit Kupfer kaschierten Keramik, der sogenannten DCB.
Die DCB (Direct copper bonded) trägt auf ihrer strukturierten Oberseite den Halbleiter. Der Chip selbst ist aufgelötet und mittels Bonddrähte mit den umgebenden Strukturen verbunden. Dieser Aufbau wird, ebenfalls mittels Lötung, auf eine Bodenplatte aufgebracht, die bei kleineren Komponenten gegebenenfalls auch entfällt.
Im Bild 1 ist dargestellt, wie die Wärme, die der Chip erzeugt, über die sich ergebenden thermischen Widerstände an die Umgebung abfließt. Dabei erwärmen sich alle Schichten des Aufbaus auf unterschiedlich hohen Temperaturniveaus.
Moderne Halbleiter erreichen inzwischen Betriebstemperaturen von bis zu 175 °C, Kühlkörper sollen aber aus Gründen der Verbrennungsgefahr eine Temperatur von 85 °C nicht überschreiten. Flüssigkühler haben meist eine maximale Vorlauftemperatur von 65 °C. Da sich alle beteiligten Materialien bei Erwärmung unterschiedlich ausdehnen, entstehen zwischen den Schichten mechanische Belastungen in Form von Scherkräften. Es sind diese wiederkehrenden Belastungen, die schlussendlich zu einer Zerrüttung, der Delamination, des Aufbaus führen, wenn die Einwirkdauer lang genug ist.
Der Temperaturhub und das Lastprofil
Besonders bei den Bonddrähten tritt ein weiterer Effekt auf. Ihre Enden sind fest mit den darunter liegenden Oberflächen verbunden, ihre Länge ändert sich aber bei Temperaturänderung. Wegen der geringen thermischen Kapazitäten findet diese Erwärmung bereits im Zeitbereich weniger Sekunden statt.
Durch die Längenausdehnung kommt es zu mikroskopischen Bewegungen und winzigen Winkeländerungen an den Montagestellen – der Draht wird permanent um ein kleines Stück verbogen. Gleichzeitig dehnt sich das Aluminium des Bonddrahtes anders aus als die kristalline Struktur des Chips; zwischen dem sogenannten Bond-Fuß und der Chip-Oberfläche entstehen mechanische Belastungen, die früher oder später zur Zerstörung der Verbindungsstelle führen.
Aus der Beschreibung der Fehlermechanismen ergibt sich sofort die Antwort auf die Frage nach der treibenden Größe: Es ist der Temperaturhub! Ein Leistungshalbleiter kann problemlos über extrem lange Zeiträume bei konstant hoher Temperatur funktionieren. Das gleiche Bauelement kann aber innerhalb kurzer Zeit versagen, wenn die Temperatur ständig um einen hohen Betrag schwankt.
Die dritte und wichtigste Frage, die nach der Lebensdauerprognose, lässt sich nicht so einfach beantworten. Sie ist der Frage ähnlich „Wie lange hält ein Auto?“. Es ist leicht einzusehen, dass ein Fahrzeug als Zweitwagen und einer gelegentlichen Verwendung problemlos zwanzig Jahre in Gebrauch sein kann, in der Verwendung als Taxi seine Lebensdauer aber leicht auf zwei bis vier Jahre begrenzt ist. Für den Gebrauch als Zugmaschine eines Pferdeanhängers eignet es sich vielleicht sogar überhaupt nicht.
Das Lastprofil ist entscheidend
Der Schlüssel zur Antwort auf die Lebensdauerfrage eines Leistungshalbleiters liegt, ebenso wie die zur Lebensdauer eines Autos, im Lastprofil der Applikation. Prinzipiell gibt es für jede elektrotechnische Applikation ein solches Lastprofil. Das kann eine Prognose solarer Strahlung zur Aufstellung einer Photovoltaikanlage sein oder das lokale Windprofil für den Bauplatz einer Windkraftanlage. Ebenso kommen Drehmomentverläufe an Werkzeugmaschinen, Fahrprofile von mobilen Applikationen oder Ladekennlinien für Batterien in Frage.
Im Idealfall existiert ein genau bekanntes, individuelles Profil. Häufiger finden sich aber generische Profile, die die Applikation in ihrer erwarteten typischen Verwendung beschreiben. Ein bekanntes Beispiel für ein solch allgemeines Profil stellen die Fahrzyklen dar, die der Bestimmung des Treibstoffbedarfes von Nutzfahrzeugen unterliegen.
Der Kern der Vorgehensweise ist immer die Lösung einer linearen Gleichung, die sich ebenfalls aus Bild 1 ergibt. Gesucht ist immer die Chip-Temperatur Tvj. Dieser Wert ergibt sich aus der Verlustleistung und der Summe der thermischen Widerstände als Aufschlag auf die Umgebungstemperatur zu:
Tvj=Tamb+Pv•∑Rth
Unabhängig vom Lastprofil muss die Auswahl eines Halbleiters die Sperrspannung und gegebenenfalls mechanische Anforderungen berücksichtigen. Die Daten des Lastprofils lassen sich immer in ein Stromprofil übersetzen, das eine erste Auswahl eines Leistungshalbleiters ermöglicht.
Die Vorwärts-Rechnung zum Lastprofil
Mittels der elektrischen Parameter Strom und Spannung sowie der Charakteristik des ausgewählten Halbleiters lassen sich die zu erwartenden Verlustleistungen errechnen. Ist die Kühlung hinreichend genau bekannt oder wenigstens eine maximal zulässige Kühlkörpertemperatur, ergeben sich die Temperaturhübe am Chip. Der Prozess ist in Bild 2 grafisch dargestellt.
Für Technologieserien verfügen Halbleiterhersteller über Kurven, die die mögliche Anzahl von Zyklen und die zugehörigen Temperaturhübe korreliert. Für beispielsweise IXYS-IGBTs auf Basis von Löt-Bond-Technologie ist die Kurve in 3 dargestellt.
Passen Lastprofil, Temperaturhub, Lebensdaueranforderung und Anzahl der Zyklen zusammen, dann ist die Auslegung geglückt. Ergibt sich eine zu geringe Lebensdauer können verschiedene Stellschrauben zum Einsatz kommen, um den Temperaturhub zu reduzieren:
- Auswahl eines leistungsstärkeren Halbleiters im gleichen Gehäuse.
- Auswahl einer Bauform mit geringerem thermischem Widerstand.
- Verwendung eines Kühlkörpers mit besserer Wärmeableitung.
- Wechsel von Luftkühlung zu Flüssigkühlung.
- Reduktion der Schaltfrequenz.
Umgekehrt können diese Hebel auch helfen, wenn sich eine viel zu hohe Lebensdauer ergibt. Wenngleich eine sinnvolle Reserve zu begrüßen ist, kann eine viel zu hohe Lebensdauerprognose auch ein Zeichen für einen überdimensionierten und dadurch zu kostenintensiven Aufbau sein.
Die Rückwärts-Rechnung zum Lastprofil
Aus dem Lastprofil und der erwarteten Lebensdauer ergibt sich ein erster Eindruck, wie viele Lastzyklen der Halbleiter in der gegebenen Applikation zu überstehen hat. Mit der Kurve für zyklische Belastung N=f(ΔT) aus Bild 2 kann daraus eine Abschätzung des tolerierbaren Temperaturhubes erfolgen.
Bild 4 zeigt den Weg auf, wie man zunächst direkt vom Lastprofil zu einer Abschätzung des maximalen Temperaturhubes kommt. Der aus dem Diagramm resultierende Temperaturhub von 70 K erlaubt eine maximale Kühlkörpertemperatur von 55 °C, wenn für die Chip-Temperatur ein Maximum von 125 °C gilt.
Die Auswahl eines geeigneten Halbleiters erfolgt dann auf Basis des thermischen Widerstandes und der Verlustleistung. Auch hier ist oft eine Iteration notwendig, um die optimal passende Komponente zu ermitteln oder in Verbindung mit einer Variation des Kühlkörpers das Ergebnis anzupassen.
Die im Bild 4 gezeigten Zusammenhänge führen bereits auf eine recht konservative Auslegung. Die angenommenen 50 Zyklen am Tag enthalten bereits eine komfortable Zugabe. Zudem stellt das gewählte Tagesprofil einen ungünstigen Fall dar, der an den meisten Tagen so nicht eintreten wird. Erlaubt es die Kostensituation, ist die konservative Auslegung zu bevorzugen.“
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