Ratgeber: Wärme-Management Frag den Schulz! Das Mysterium Chip-Temperatur

Von Dr. Martin Schulz *

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Ein PCIM-Messebesucher fragte mich: „In meiner Schaltung wird das Modul nach geraumer Zeit heiß und fällt dann aus. Meine gemessene Chip-Temperatur entspricht aber dem Datenblatt. Da passt etwas nicht – messe ich etwa falsch?

Dr. Martin Schulz ist Global Principal Application Engineer bei Littelfuse Europe und kennt die Tücken in der Leistungselektronik-Entwicklung.
Dr. Martin Schulz ist Global Principal Application Engineer bei Littelfuse Europe und kennt die Tücken in der Leistungselektronik-Entwicklung.
(Bild: VCG/Littelfuse)

Warum wird ein Halbleiter überhaupt heiß? Im stromdurchflossenen Halbleiter kommt es u.a. an Grenzflächen zu Streuereignissen der Elektronen, die einen Teil ihrer Energie an das Kristallgitter abgeben und es in Schwingung versetzt. Durch diesen materialbedingten Innenwiderstand entstehen Verlustwärme und Verlustleistung. Die maximale Betriebstemperatur von 175 °C ist heute bei Silizium beherrschbar, aber dies ist an sich keine durch die Physik gegebene Grenze. Silizium-Prozessoptimierungen erlauben inzwischen sogar 200 °C, sofern die Aufbau- und Verbindungstechnik des Bausteins mitspielt. Unter Laborbedingungen verkraften SiC-basierte Leistungshalbleiter kurzfristig auch Temperaturen von über 600 °C.

Weiterentwicklungen in der Chip-Technologie haben kontinuierlich die Stromdichte in Leistungshalbleitern vergrößert. Ein IGBT kann heute pro Fläche etwa viermal so viel Strom tragen wie die erste Generation der späten 1990er Jahre. Die Verluste, die der Schalter im Betrieb erzeugt, sind allerdings nicht im gleichen Maße zurückgegangen. Die sich ergebende Konsequenz ist, dass der kleinere Chip bei höherem Strom mindestens die gleiche, wenn nicht gar eine höhere Verlustleistungsdichte aufweist. Als Folge stellen sich höhere Temperaturen auf kleinerem Raum ein, was die Anforderungen an die Kühlung der Leistungselektronik in die Höhe treibt.

Höhere Temperaturen bei gleicher Aufbautechnik führen aber zu geringeren Lebenserwartungen; die Aufbau- und Verbindungstechnik muss sich also entsprechend der Chip-Technik mitentwickeln, damit höhere Leistungsdichten nicht zum Lebensdauer-Killer werden.

Insitu-Methode der Temperaturmessung

Einer der vielen und vielleicht der wichtigste Parameter in leistungselektronischen Designs ist daher die Chip-Temperatur – die aber nicht so leicht zu messen ist. Daher rührt auch die Frage aus der kürzlichen Messe-Diskussion.

Mit einem Thermoelement auf dem Chip wurde die „Chip-Temperatur“ gemessen und mit 160 °C bestimmt. Da der Chip laut Datenblatt eine Maximaltemperatur von 175 °C zulässt, ist das Design doch in Ordnung – oder etwa nicht?

Dazu ist erst einmal notwendig zu wissen, dass es diese „Chip-Temperatur“ so eigentlich überhaupt nicht gibt. Der Chip, im Fach-Jargon auch Die, insbesondere der gekapselte Leistungshalbleiter, hat eine erhebliche Ausdehnung. Ecken und Kanten sind dabei thermisch gegenüber der Mitte im Vorteil und können Wärme besser an die Umgebung abgeben; sie bleiben im Betrieb kälter als das Zentrum.

Bild 1: Die Infrarotaufnahme zeigt deutlich, dass die Temperatur auf der Oberfläche eines IGBTs nicht homogen ist.
Bild 1: Die Infrarotaufnahme zeigt deutlich, dass die Temperatur auf der Oberfläche eines IGBTs nicht homogen ist.
(Bild: Martin Schulz)

Bild 1 zeigt mittels einer Infrarotaufnahme sehr gut, dass die Temperatur auf der Oberfläche eines IGBTs nicht homogen ist. Zwischen der Temperatur an der Ecke und der im Zentrum besteht ein erheblicher Unterschied. In unserem diskutierten Beispiel betrug der Wert in der Ecke 160 °C, der im Zentrum aber 220 °C.

Klarheit über die Chip-Temperatur verschafft hier der Begriff der virtuellen Chip-Temperatur, im Datenblatt von Halbleitern als Tvj gekennzeichnet. Diese virtuelle Chip-Temperatur beschreibt den Mittelwert der Temperatur über die gesamte Chip-Fläche. Im Labor lässt sich diese Temperatur mit der In-Situ-Methode messen.

Die Berechnung der virtuellen Chip-Temperatur

Zunächst wird ein IGBT mittels Heizung auf eine homogene, genau eingestellte Temperatur aufgeheizt, mit einem kleinen Strom beaufschlagt und die Vorwärtsspannung am Bauelement gemessen. Die Korrelation zwischen Vorwärtsspannung bei kleinem Strom und Bauteiltemperatur ist linear, eindeutig und umkehrbar. Aus mehreren Temperaturen und Messungen ergibt sich eine Kalibrierfunktion aus Vorwärtsspannung Vf bei konstantem Strom und als homogen angenommener Chip-Temperatur T zu: Vf(T)•I=konst.=f(T). In der Umkehrung enthält die Spannung an dem Bauteil, in dem der gleiche Strom fließt, die Information über die Temperatur.

Wegen der homogenen Temperaturverteilung, die bei der Erstellung der Kalibrierkurve herrschte, ergibt sich mit dieser Methode automatisch eine gemittelte Temperatur Tvj; das Bauteil erscheint also, als weise es eine homogene Temperatur auf.

Auf Basis genau dieser Methode bestimmen Hersteller von Leistungselektronik-Komponenten die Lebensdauer ihrer Bauteile. Die inhomogene Temperaturverteilung und die Aussage „Tvjmax=150 °C“ bedeuten, der Chip kann lokale Maxima jenseits dieses Wertes aufweisen. Das ist in der Messung dann bereits berücksichtigt.

Die In-Situ-Methode ist die bevorzugte Version für die Charakterisierung von Bauelementen unter Laborbedingungen. Sie ist aber in der Umsetzung mit erheblichem Aufwand und dem Bedarf an schneller und hochpräziser Messtechnik verbunden.

Ein einfacherer Weg, den Parameter Tvj zu bestimmen besteht darin, zwei Messpunkte auf dem Chip zu nutzen, einen im Zentrum und einen an einer Ecke. Die mittlere Temperatur ergibt sich aus einer einfachen Gewichtung zu Tvj=(2•TZentrum+TEcke)/3.

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Auch das Infrarotbild gibt einen entsprechenden Wert aus, wenn nicht ein Maximalwert, sondern der Mittelwert eines Rechtecks bestimmt wird, das die gesamte Chip-Fläche umspannt. Ist also ein Chip, für den 175 °C als Temperatur erlaubt sind und auf dem ein Punkt mit 160 °C gemessen wurde, innerhalb der erlaubten Grenzen? Vielleicht…

Wurde die Temperatur im Zentrum mittels Thermoelement erfasst, ist die mittlere Temperatur kleiner und die Situation erlaubt. Lag der Messpunkt außerhalb des Zentrums oder sogar auf einer Ecke, ist die mittlere Temperatur höher und die virtuelle Chip-Temperatur Tvj eventuell größer als zulässig.

Die Temperatur immer in der Mitte messen?

Warum dann nicht immer in der Mitte messen und damit auf der sicheren Seite sein? Der Unterschied zwischen der gemittelten Temperatur und dem Hot-Spot kann durchaus, wie das Beispiel in Bild 1 zeigt, erheblich sein.

Bild 1: Die Infrarotaufnahme zeigt deutlich, dass die Temperatur auf der Oberfläche eines IGBTs nicht homogen ist.
Bild 1: Die Infrarotaufnahme zeigt deutlich, dass die Temperatur auf der Oberfläche eines IGBTs nicht homogen ist.
(Bild: Martin Schulz)

Im Bild ergibt die Mittenmessung des IGBTs eine Temperatur von 220 °C. Der Mittelwert der Temperatur beträgt jedoch nach folgender Formel Tvj=(2•220+160)°C/3=200 °C. Das ergibt einen Unterschied von 20 K, der sich auch beim Temperaturhub widerspiegelt und erheblichen Einfluss auf die Lebensdauerprognose hat.

Bild 2: 
Schematische Darstellung der Lastwechselfestigkeit.
Bild 2: 
Schematische Darstellung der Lastwechselfestigkeit.
(Bild: Martin Schulz)

Bild 2 zeigt generisch den Zusammenhang zwischen dem Temperaturhub ΔTvj und der Anzahl an Zyklen, die eine gegebene Technologie diesen Temperaturhub überstehen kann. Im Bild verdeutlicht, führt eine fälschlich zu Grunde gelegte Erhöhung des Temperaturhubes um nur 20 K auf eine Reduktion der erwarteten Zyklenfestigkeit um mehr als 50%.

Erfolgt eine Bestimmung der Lebensdauer also auf Basis eines Maximalwertes, ergibt sich eine sehr konservative Auslegung, weil ein zu hoher Temperaturhub zugrunde gelegt wird. Eine solche Auslegung erreicht am Ende eine höhere Lebensdauer als benötigt oder, von einem anderen Blickwinkel betrachtet, der eingesetzte Halbleiter ist unnötig stark überdimensioniert und somit vermutlich zu teuer.

Sie kommen in Ihrem Design nicht weiter? Dann beschreiben Sie das Problem und stellen Sie Ihre Frage.

* * Dr. Martin Schulz ... ist Global Principal Application Engineer bei Littelfuse Europe.

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