Das schirmfreie Hochvolt-Bordnetz im Automobil

Autor / Redakteur: Michael Wortberg, Martin Gall und Georg Scheidhammer* / Dipl.-Ing. (FH) Thomas Kuther

Um bei Hochvolt-Traktionsbordnetzen eine gute elektromagnetische Verträglichkeit zu gewährleisten, kommen für gewöhnlich umfassende Abschirmungen zum Einsatz. In vielen Fällen bietet jedoch der alternative Einsatz eines Filters in Kombination mit einer optimierten Leitergeometrie klare Vorteile.

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In Hochvolt-Traktionsbordnetzen ist die Leistungselektronik dafür verantwortlich, aus dem Gleichstrom der Batterie einen Drei-Phasen-Drehstrom für den Elektromotor herzustellen (Symbolbild).
In Hochvolt-Traktionsbordnetzen ist die Leistungselektronik dafür verantwortlich, aus dem Gleichstrom der Batterie einen Drei-Phasen-Drehstrom für den Elektromotor herzustellen (Symbolbild).
(Bild: gemeinfrei / CC0 )

Beim Entwurf eines Hochvolt-Traktionsbordnetzes im Automobilbereich ist die Sicherstellung der elektromagnetischen Verträglichkeit aller Komponenten eine große Herausforderung. Um diese zu meistern, werden üblicherweise alle als Rundleiter ausgeführten Verbindungen von der Batterie zur Leistungselektronik sowie zu den Hochvolt-Nebenaggregaten mit einem kombinierten Geflecht- und Folienschirm versehen. In vielen Fällen kann auf diese aufwendige Konstruktion verzichtet werden, wenn eine Befilterung der Leistungselektronik verhindert, dass sich Störungen auf die Hochspannungs-Gleichstromverbindungen ausbreiten und von diesen abgestrahlt werden. Zugleich entfallen bei dieser Lösung die Schirmführung im Hochvoltstecker sowie die Schirmkontaktierung im Rahmen der Leitungssatzkonfektion. In diesem Beitrag wird zunächst die Wirkungsweise des konventionellen Schirms betrachtet, um im Anschluss daraus die Vorteile des befilterten Bordnetzes ableiten zu können.

So wirkt der konventionelle Hochvoltschirm

In Hochvolt-Traktionsbordnetzen ist die Leistungselektronik dafür verantwortlich, aus dem Gleichstrom der Batterie einen Drei-Phasen-Drehstrom für den Elektromotor herzustellen. Dazu werden die drei Halbbrücken des integrierten Umrichters getaktet angesteuert. Die dabei entstehenden Schaltflanken führen zu breitbandigen Störungen mit hoher Amplitude, die sich als leitungsgebundene Störungen über den HV-DC-Link bis in die Batterie übertragen und als transienter Anteil den Laststrom überlagern. Der beim konventionellen Hochvoltbordnetz eingesetzte Schirm hat nun die Aufgabe, die Störabstrahlung der Hochvoltleitung zu dämpfen, sodass die Grenzwerte der CISPR25-Norm[1] eingehalten werden.

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Möglich ist dies, da der Schirm des (B+)- und des (B–)-Leiters zusammen mit der Schirmanbindung der Batterie sowie der Leistungselektronik eine Leiterschleife aufspannen (Bild 2). Diese Leiterschleife umfasst nahezu vollständig den magnetischen Fluss, der von der Schleife des Laststroms ausgeht. Durch diese magnetische Flussverkettung wird in der Schirmschleife eine Spannung induziert, die einen in der Richtung entgegengesetzten sekundären „Spiegelstrom“ des transienten Laststromanteils auf dem Schirm erzeugt. Die Schirmwirkung basiert darauf, dass das Magnetfeld des Schirmstroms das vom Lastleiter ausgehende Primärfeld kompensiert.

Bild 3 zeigt den Laststrom des HV-DC-Links mit den ausgeprägten transienten Störungen, die von den Schaltflanken der Traktions-Leistungselektronik erzeugt werden. Der ebenfalls abgebildete Schirmstrom weist dabei kurzzeitig Stromspitzen von bis zu 100 A auf, was eine hohe Stromtragfähigkeit des Schirms sowie aller Kontakte erfordert. Darüber hinaus kann der Messung entnommen werden, dass der Kompensationsstrom des Schirms nicht die Amplitude der transienten Störung auf dem Lastleiter erreicht, weshalb keine vollständige Schirmwirkung gegeben ist. Hierfür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist keine vollständige Flussverkettung zwischen Schirm und Lastleiter gegeben, zum anderen weisen die Schirmschleifen einen Impedanzbelag auf, sodass sich die Wechselanteile des Kompensationsstroms auf dem Schirm nicht ungehindert übertragen können. Ein wesentlicher Nachteil beim Einsatz eines Schirms ist zudem, dass dieser durch die Entstehung transienter Schleifenströme selbst eine Quelle von Störungen über die Massepfade sein kann.

Mit einem LC-Filter Störungen direkt an der Quelle bedämpfen

Mit dem Einsatz eines LC-Filters zwischen den HV-DC-Links und der Leistungselektronik kann den dort entstehenden Störungen direkt an der Quelle entgegengewirkt werden. Eine hinreichende Einfügedämpfung des Filters vorausgesetzt, bietet eine solche Auslegung mehrere Vorteile gegenüber konventionell geschirmten Bordnetzen. So bleiben die Störemissionen im Radiofrequenzbereich auch ohne den Einsatz eines konstruktiv aufwändigen Geflechtschirms innerhalb des durch die CISPR25-Norm gesetzten Rahmens und es kann zugleich nicht zum Entstehen transienter Schirmströme kommen, von denen masseseitige Störungen ausgehen. Im Gegensatz zum HV-Leitungssatz mit Schirm erfolgt im befilterten HV-Netz zudem eine Bedämpfung der leitungsgebundenen Störungen, was das Risiko einer gegenseitigen Beeinflussung des im Fahrzeug verbauten Hochvolt- und Niedervolt-Bordnetzes erheblich reduziert.

Es bleibt festzuhalten, dass über die Auswahl geeigneter Filter die Störausstrahlung ab 150 kHz gemäß der CISPR25-Norm eingehalten werden kann. Für Frequenzen unter 150 kHz – insbesondere unter 20 kHz – nimmt die Wirkung von LC-Filtern allerdings erheblich ab. Im Weiteren soll betrachtet werden, welche möglichen Konsequenzen daraus folgen.

Was die ICNIRP-Richtlinien fordern

Die ICNIRP-Richtlinien[2] befassen sich mit der Einhaltung der Feldausbreitung, die von niederfrequenten magnetischen und elektrischen Feldern ausgeht. Im Gegensatz zu anderen EMV-Normen wie CISPR25, geht es dabei nicht um die Störung technischer Komponenten, sondern um potenzielle Auswirkungen auf den menschlichen Körper. Die ICNIRP-Richtlinie beschreibt dafür qualitativ mögliche Effekte und gibt Grenzwerte für die Exposition im beruflichen wie auch im öffentlichen Bereich an. Eine wichtige Besonderheit ist dabei, dass die Wirkung von Magnetfeld-Frequenzanteilen auf den menschlichen Körper kumuliert betrachtet wird. Die Einhaltung der Richtlinie wird dabei in Prozent angegeben. Liegt das Resultat einer Messung über 100%, so ist die Vorgabe überschritten.

Als breitbandiger Störer beeinflusst der Umrichter der Traktions-Leistungselektronik das Bordnetz auch im niederfrequenten Spektrum unter 100 kHz, sodass der Einhaltung der ICNIRP-Richtlinien besondere Beachtung geschenkt werden muss.

ICNIRP und das ungeschirmte Hochvolt-Bordnetz

Eine Herausforderung bei der Konzeption von HV-DC-Links ohne klassische Schirmung ist, dass die Wirkung des zusätzlichen Filters an der Leistungselektronik bei niedrigen Frequenzen immer weiter abnimmt. Je niedriger die zu befilternden Frequenzen sind, umso größer müssten die Kondensatoren und Induktivitäten ausfallen. Hier begrenzen die räumlichen Gegebenheiten aber oftmals eine stärkere Dämpfung von ungewollten Strömen im Frequenzbereich unter 150 kHz.

Am Beispiel einer exemplarischen Berechnung des ICNIRP%-Wertes für eine HV-DC-Link-Doppelleitung, die 35 mm unterhalb eines Bodenblechs angebracht wurde, zeigt sich bei einem lotrechten Abstand von 100 mm zur Quelle, dass bei einer konventionellen Schirmung der Leitungen kurzzeitig Spitzenwerte von rund 60% des ICNIRP-Grenzwerts erreicht werden. Als Störanregung wurde dabei der Traktionsstrom angesetzt, der auch in Bild 2 dargestellt ist. Ohne Schirmung – aber mit Filter für den Frequenzbereich über 150 kHz – werden die ICNIRP-Grenzwerte ebenfalls nicht überschritten, allerdings liegt die Feldstärke durchgängig auf einem höheren Niveau.

Sowohl mit als auch ohne Schirm ist dennoch bereits eine Überschreitung der Grenzwerte möglich, wenn zusätzlich noch der Anteil des üblicherweise vorhandenen 12-Volt-Bordnetzes addiert wird. Ohne ein dazwischenliegendes Blech aus elektrisch leitfähigem oder magnetisch wirksamem Material ergibt sich mit ICNIRP%-Werten zwischen 200% und 800% eine klare Überschreitung der festgelegten Höchstgrenzen am Messpunkt. Somit kommt dem Karosserie-Bodenblech eine wesentliche Rolle bei der Abschirmung des Fahrzeuginnenraums zu.

Welchen Nutzen optimierte Leiteranordnungen bringen

Gerade im Hinblick auf den Leichtbau-Trend, durch den im Bereich der Fahrzeug-Bodengruppe in Zukunft vermehrt ein Materialmix aus miteinander verklebten Faserverbundwerkstoffen oder auch Aluminium zum Einsatz kommen wird, werden sich die elektromagnetischen Schirmeigenschaften der Bodengruppe erheblich verschlechtern. Daher ist es zielführend, sich über neue Leiteranordnungen Gedanken zu machen, die bereits von Grund auf eine wesentlich verringerte Emission von Magnetfeldern aufweisen.

Besonders Flachleiter können im Vergleich zu Rundleiteranordnungen gleichen Querschnitts für eine bessere elektromagnetische Verträglichkeit des Bordnetzes sorgen. So kann beispielsweise mit der Multischiene von Dräxlmaier, die aus zwei übereinandergeschichteten Flachleitern – also einer Doppelschiene – besteht, eine deutlich geringere Feldausbreitung erreicht werden (Bild 5). Im Zusammenspiel mit einem konventionellen Fahrzeugbodenblech ist es damit möglich, die ICNIRP-Grundlast bis in den einstelligen Prozentbereich zu verringern. Soll auf die bedämpfende Wirkung der Bodengruppe gänzlich verzichtet werden, so empfiehlt sich die Verwendung der Dräxlmaier Multischiene mit zusätzlichem Flux-Guide, der die Ausbreitung des Magnetfeldes ausgehend von den transversalen Schienenenden nochmals verringert. Dieser kann zudem in das Isolationsüberwachungskonzept mit eingebunden werden.

Vorzüge des schirmfreien Bordnetzes

Die Verwendung eines Filters statt den üblicherweise bei Hochvolt-Leitungen eingesetzten Schirmungen bietet konstruktionsbedingt mehrere Vorteile: So reduziert der Wegfall des Schirms den Aufwand bei der Fertigung der Bordnetzkomponenten und sorgt zugleich für eine Gewichtsersparnis. Ein weiterer großer Vorteil ist, dass die Entstehung von Schirmströmen durch das Fehlen des Schirmgeflechts verhindert wird. Dadurch entfällt eine zusätzliche Quelle von masseseitigen Störungen, deren Auswirkungen sonst oftmals nur schwer in den Griff zu bekommen sind. Zusammen mit der Reduzierung der leitungsgebundenen Störungen kann zudem das Übersprechen zwischen Hochvolt- und Niedervolt-Bordnetz erheblich reduziert werden.

Darüber hinaus muss stets die Einhaltung der ICNIRP-Richtlinien beachtet werden, da die Dämpfung niedriger Frequenzbereiche beim Einsatz eines Filters durch bauliche Gegebenheiten limitiert wird. Für das Frequenzband zwischen 1 Hz und 100 kHz machen die ICNIRP-Richtlinien dabei klare Vorgaben, die es konstruktiv einzuhalten gilt. Kommt eine metallische Fahrzeugbodengruppe zum Einsatz, genügt deren Dämpfungseigenschaft in einigen Fällen bereits, um die Grenzwerte im Fahrzeuginnenraum einzuhalten. Sollen im Zuge des Leichtbautrends andere Werkstoffe in der Bodengruppe verwendet werden, oder wird die Schiene sogar im Fahrzeuginnenraum verlegt, sind Leiterbauformen wie die Dräxlmaier Multischiene mit ihrer besonders geringen elektromagnetischen Emission eine wichtige Optimierungsmöglichkeit. Weil diese Maßnahmen einer grundsätzlichen konstruktiven Berücksichtigung in der frühen Entwicklungsphase bedürfen, setzt Dräxlmaier bei der ICNIRP-Berechnung und Verifikation daher verstärkt auf simulative Ansätze in der frühen Bordnetzentwicklungsphase.

Literaturhinweise

[1] DIN EN 55025 – Grenzwerte und Messverfahren für den Schutz von an Bord befindlichen Empfängern (IEC/CISPR 25:2008).

[2] ICNIRP Guidelines for Limiting Exposure to Time Varying Electric and Magnetic Fields (1 Hz – 100 kHz), ICNIRP Publication – 1998, Inter­national Commission on Non-Ionizing Radiation Protection.

* Michael Wortberg ist Technologiestratege bei der Dräxlmaier Group in Vilsbiburg.

* Dr. Martin Gall ist CTO der Dräxlmaier Group in Vilsbiburg.

* Georg Scheidhammer leitet das Ressort Strategie & Innovationen der Entwicklung bei der Dräxlmaier Group in Vilsbiburg.

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