Grundlagen: IGBT-Auswahl Applikation sucht IGBT-Modul: Die richtige Auswahl treffen

Von Werner Bresch, Erik Rehmann *

Warum gibt es keinen Ratgeber, der beschreibt, welches IGBT-Modul für welche Schaltungstopologie und bestimmte Lastwerte geeignet ist? Der Artikel erklärt warum und gibt Empfehlungen zur IGBT-Auswahl.

Bild 1: Die Lage der Haupt- und Nebenanschlüsse sowie der Befestigungspunkte beeinflussen das finale Design, beispielsweise eines Umrichters.
Bild 1: Die Lage der Haupt- und Nebenanschlüsse sowie der Befestigungspunkte beeinflussen das finale Design, beispielsweise eines Umrichters.
(Bild: GvA Leistungselektronik)

Die Auswahl des passenden IGBT-Moduls für eine gegebene Applikation ist von vielen und nicht selten gegenläufigen Faktoren abhängig. Das heißt ein vermeintlich bestes, schnellstes oder neuestes IGBT-Modul für die Zielapplikation nur bedingt einsetzbar. Möglicherweise bietet es aufgrund seiner Eigenschaften zusammen mit den in der Applikation geforderten Leistungswerten im Gesamtsystem keinen signifikanten Zusatznutzen. Infolgedessen wird ein IGBT-Ratgeber aufgrund der vielen möglichen Applikationen sowie unterschiedlichsten Anforderungen, verbunden mit ebenso variantenreichen Schaltungsentwürfen nie Realität werden. Deshalb steht ganz am Anfang der Suche nach dem passenden IGBT-Modul die Applikation.

Es ist leicht nachvollziehbar, dass an die Leistungselektronik für eine Induktionserwärmung andere Anforderungen gelten als für industrielle Antriebswechselrichter. Gleiches gilt für Traktionsanwendungen, Bergbauanwendungen, Schiffantriebe, Windenergie, Energieverteilung (Smart Grid), Energiespeicherung und so weiter.

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All diese Applikationen lassen sich selbstverständlich in unterschiedlichen Schaltungstopologien realisieren, etwa einphasige Wechselrichter, dreiphasige Wechselrichter, in Zwei-Level-Topologie, in Drei-Level-Topologie, in Multi-Level-Topologie, eventuell mit direkter Parallelschaltung der IGBT-Module oder kompletter Wechselrichtereinheiten. DC-Chopper und Resonanzwechselrichter nicht zu vergessen.

Nicht zuletzt bestimmt auch das Hardware-Design in die Auswahl des passenden IGBT-Moduls. Oftmals ist der Hardware-Entwurf durch übergeordnete Auslegungskriterien bestimmt, welche konträr zu den für den optimalen Betrieb eines IGBT-Moduls sind. Auch kann eine, etwa aus vorgenannten Gründen, nicht ganz optimale thermische Auslegung oder auch ein nicht ganz optimales Design beispielsweise des Zwischenkreisfilters dazu führen, dass die im Datenblatt eines IGBT-Moduls ausgewiesene Performance gar nicht genutzt werden kann.

Elektrische und thermische Beschreibung

Entscheidungen lassen sich einfacher und sicherer treffen, wenn die Fakten klar formuliert sind. Unsere erste Entscheidungshilfe ist damit die technische Spezifikation, die alle Einsatzkriterien und Einsatzwerte für die leistungselektronische Endstufe und damit der später zum Einsatz kommenden IGBT-Module beschreibt.

Eine Spezifikation beinhaltet im Allgemeinen die grundsätzliche Beschreibung mit der elektrischen und thermischen Auslegung. Hier finden sich Angaben zu Anwendung, Schaltungstopologie sowie applikationsrelevante Eigenschaften, Besonderheiten sowie Anforderungen. Elektrische und thermische Angaben dienen primär zur elektrischen Auslegung der Leistungselektronik und damit zur Auswahl der passenden IGBT-Module.

Es finden sich neben Angaben zu den Spannungskoordinaten auch Angaben zu den unterschiedlichen Laststrombedingungen, Leistungsanforderungen, Temperaturkoordinaten, Frequenzkoordinaten, Isolationskoordinaten, zu den Schnittstellen der Leistungsanschlüsse, zu den Schnittstellen der Treiber-Interface und Steuerung, Angaben zu Treiberanforderungen, zur Strom und Spannungssensorik sowie zu den Lüftern (sofern forcierte Belüftung vorgesehen werden muss), Kapazität des Zwischenkreisfilters, maximale Verlustleistung, Wirkungsgrad und etliches mehr.

Die mechanische Beschreibung der Zielapplikation

Gibt es bisher noch keine Angaben zur notwendigen Kühlart der Leistungselektronik, dann steht spätestens jetzt das thermische Management der Verlustwärme im Mittelpunkt. Denn die Kühlmethode wie forciert belüftetet mit Einzel- oder Zentrallüfter oder gar Wasserkühlung, hat entsprechenden Einfluss auf Größe und Gewicht der damit aufgebauten Leistungselektronik. Neben Größe und Gewicht der Leistungselektronik wird hier auch die Lage der Haupt- und Nebenanschlüsse sowie der Befestigungsfixpunkte definiert.

Mit dem thermischen Management steht und fällt die Zuverlässigkeit von Leistungshalbleiter und letztlich dem leistungselektronischen Gesamtsystem. Hält man sich vor Augen, dass eine Temperaturerhöhung von 7 K die Lebensdauer halbiert, dann wird die Komplexität des Wärme-Managenments deutlich, und das bedarf einer (nachfolgend) intensiven Betrachtung.

Im Faktenheft sind unter Sonstiges Angaben zusammengefasst, die in die zuvor beschriebenen Angaben nicht so recht rein passen, jedoch für die Gesamtauslegung der Leistungselektronik und damit des IGBT-Leistungsmoduls wichtig sind. Es finden sich z.B. Angaben zu Field-Acceptance-Test-Vorgaben, Angaben zur mechanischen Robustheit (Vibration, mechanischer Stoß, Sturz), Forderungen zur Lebensdauer (etwa Lastwechsel, Temperaturwechsel, FIT-Werte), Umgebungsangaben zum Aufstellungsort (Temperatur, relative Feuchte, Höhenstrahlungsfestigkeit), bis hin zu Forderungen nach Tropenfestigkeit, Termiten- und Nagerbeständigkeit, Entflammbarkeit, Schadstoff-Freiheit, Second-Source-Problematik, Emissionen, Kosten und Terminplanung.

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Stellvertretend für die Vielzahl unterschiedlicher Standards sollen die Standards DIN/IEC und UL genannt werden. Vielfach beanspruchen diese in aller Ausführlichkeit gelistet leicht mehrere Seiten einer Spezifikation, ergänzt durch anwendungsspezifische Spezifikationen z.B. für Traktions-, Marine- oder Bergbauanwendungen oder auch E-Mobilität, Windenergie, Speicher. Es liegt in der Natur der Dinge, dass keiner der vorgenannten Punkte isoliert betrachtet werden darf, sondern untereinander und gegenseitig Einfluss auf die Auslegung der Leistungselektronik und der dort verbauten IGBT-Module nehmen.

Datenblatt & Spezifikation: der perfekte Kompromisses

Nun haben wir auf der einen Seite eine mehr oder weniger ausführliche Spezifikation, auf der anderen das Datenblatt eines IGBT-Moduls, welches nach unserer Einschätzung in die Applikation passt und die in der Spezifikation geforderten Werte erfüllen könnte. Um dies zu verifizieren beginnen wir also mit der thermischen Dimensionierung. Zur Bestimmung der erzeugten Verlustleistung im IGBT-Chip werden die IGBT-Schaltverlustenergien Eon, Eoff sowie der Durchlassspannungsabfall Vcesat dem IGBT-Datenblatt entnommen, die Strombelastungsparameter sowie die Taktfrequenz für die PWM-Modulation der Spezifikation. Analog gilt dies auch für die Freilaufdiode mit der dort angegeben Ausschaltverlustenergie Eoffrec sowie dem ausgewiesenen Durchlassspannungsabfall Vf.

Nun ist es leider häufig so, dass die Hersteller der IGBT-Module aus Marketing-Gründen die Verlustenergien ihrer Produkte möglichst klein im Wert darstellen. Insofern werden diese in deren Testaufbauten mit der härtest möglichen Ansteuerung, verbunden mit der geringsten möglichen Streuinduktivität im Kommutierungskreis, ermittelt. Diese Testaufbauten haben mit den Gegebenheiten im wirklichen Wechselrichter-Design nicht viel gemeinsam.

Ein solch niederinduktiver Aufbau lässt sich alleine schon zur Erreichung einer thermisch vernünftigen Anbindung der IGBT-Module auf einen Kühlkörper nicht realisieren. Dazu müssten nämlich z.B. sechs Einzelschalter-IGBT-Module möglichst eng zusammen auf einen großflächigen Aluminiumkühler montiert werden. Der thermische Übergangswiderstand des Kühlers Rthka jedoch ist unter der Annahme angegeben, dass die abzuführende Verlustwärme homogen über die gesamte Oberfläche in den Kühler eingebracht wird auf der die sechs IGBT-Module montiert sind. Das bedeutet, dass die sechs punkförmigen Verlustwärmequellen in Form der sechs IGBT-Einzelschalter-Module möglichst symmetrisch und gleichförmig über die Montagefläche des Kühlers verteilt sein müssen, um einen guten Kühlerwirkungsgrad zu erhalten.

Das bedeutet aber auch, dass nun längere Kommutierungswege entstehen welche zwangsläufig höhere Streuinduktivitäten mit sich bringen. Wird das IGBT-Modul nun mit der für die minimal angegeben Verlustenergien harten Ansteuerung geschaltet, entstehen dann unerwartet hohe Schaltüberspannungsspitzen, eventuell schon bei der Abschaltung des geforderten Nominalstrom wie in der Spezifikation gefordert, spätestens aber bei der Abschaltung von kurzzeitig zulässigen Überströmen oder gar Kurzschlussströmen.

Ein möglicher Ausweg wäre die Ansteuerung der IGBT-Module weniger hart zu gestalten mit der Folge, dass sich die Schaltgeschwindigkeit der IGBT-Module verringert und somit die Schaltüberspannungsspitzen in einen tolerierbaren Bereich reduziert werden. Dabei jedoch steigen die dynamischen Verluste aus Eon, Eoff und Eoffrec deutlich an und erhöhen die Verlustleistung bei gleicher Strombelastung möglicher Weise derart, dass der Kühlkörper die Verluste nicht mehr abführen kann. Dies wiederum kann dazu führen, dass die in der Spezifikation definierte Strombelastbarkeit der Wechselrichter nicht erreichbar ist, oder nur entgegen anderer Anforderungen in Form größerer Kühler und gegebenenfalls auch größerer IGBT-Module erreicht werden kann. Das läuft gegen die Forderungen in der Spezifikation bezüglich Größe, Gewicht und letztlich auch den Kosten.

Grundsätzlich sind es die Streuinduktivitäten in den Kommutierungskreisen, welche uns das Leben bei der Auslegung von IGBT-Modulen schwer machen. Sie sind überall zu finden, im IGBT-Modul selbst, in den Kondensatoren des Zwischenkreisfilters, in der Multilayer-Verschienung des Zwischenkreises und damit auch abhängig von baulichen, mechanischen Notwendigkeiten.

Schaltdynamik versus Streuinduktivität

Trotz bester Ingenieur-Kunst lassen sich Streuinduktivitäten zwischen den einzelnen IGBT-Modulen und damit den entsprechenden Kommutierungspfaden nicht vermeiden. Die möglichen Folgen sind zuvor beschrieben. Als denkbarer Ausweg aus dieser Situation bleibt die Schaltdynamik der IGBT-Module mit Hilfe dafür ausgelegter IGBT-Treiber an die jeweils auftretende Schaltsituation anzupassen. Dazu wird der zu schaltende Laststrom erfasst und aus dem definierten Normlaststrom heraus so hart als möglich mit kleinstmöglichen Gate-Widerständen geschaltet, um die dynamischen Verluste so gering als möglich zu halten.

Beim Schalten von Überströmen oder gar Kurzschlussströmen wird temporär bzw. einmalig mit größeren Gate-Widerständen sanfter geschaltet. Dazu bedarf es jedoch einer Ansteuerelektronik, welche mindestens zweistufig eventuell auch asymmetrisch schaltend oder gar mehrstufig ausgelegt ist. Im Highend-Ausbau sind IGBT-Treiberlösungen möglich, bei denen das Schalt-di/dt und das Schalt-dv/dt des schaltenden IGBT überwacht wird und so die Schaltdynamik des IGBT auf die Gegebenheiten der kompletten Wechselrichter-Endstufe angepasst werden kann.

Solche Treiberelektroniken haben natürlich nichts mehr mit der einfachen und problemlosen Ansteuerung zu tun, wie hin und wieder als Statement aus der Fachliteratur entnommen werden kann. Sie kosten richtig Geld, unter Umständen so viel wie der damit angesteuerte IGBT. Und auch die damit verbundenen Entwicklungszeiten sind nicht zu unterschätzen. Schließlich geht es um nichts weniger als zuverlässig im schlimmsten di/dt- und dv/dt-Gewitter, Spannungsunterschiede von einigen 100 mV zu detektieren, um damit den Reglereingriff zu realisieren. Damit berühren wir die Themen Kosten und Terminplanung.

Sackgasse vermeiden: Single oder Second Source

Da Single-Source-Situationen durchaus mit hohen Risiken verbunden sein können, was Verfügbarkeit und Beschaffungspreise betrifft, ist es sicherlich sinnvoll, zumindest für die Hauptkomponenten, eine alternative Second Source zu haben. Das betrifft insbesondere die IGBT-Module. Oft ist zu beobachten, dass durch den Einsatz eines „World-best-Single Source-IGBT“ das Komplett-Design des damit aufgebauten Wechselrichters so ausgequetscht wurde, dass dieses IGBT-Modul durch kein anderes Fabrikat ersetzt werden kann. Die Komplikationen reichen von mechanischer Inkompatibilität bis hin zu nicht ausreichender Kühlung wegen höherer Verlustleistung beim Second- Source-Produkt, nicht kompatibles Treiber- Design oder auch dem Nicht-Erreichen der nach Spezifikation geforderten Leistung und Strombelastbarkeit. Man befindet sich dann einer technischen Sackgasse.

Ein wenig Single Source hat man jedoch selbst dann, wenn dafür gesorgt wurde, dass bau- und leistungsgleiche IGBT-Module mehrerer Hersteller im Wechselrichter-Design verbaut werden können. Das liegt an den unterschiedlichen Schaltcharakteristiken der unterschiedlichen IGBT-Module unterschiedlicher Hersteller, welche dann natürlich mit den fixen Gegebenheiten des Wechselrichter-Designs unterschiedlich interagieren. Wurde dies bei der Entwicklung entsprechend berücksichtigt, sind, wenn überhaupt, nur kleine Modifikationen meistens an den Treiber-Boards notwendig, um das Second-Source-Modul einbauen zu können.

IGBT-Lebensdauer: das Problem der Wechsellast

Nichts hält ewig, aber die Lebensdauer von IGBT-Modulen kann durch entsprechend schonenden Betrieb erhöht werden. Wie hoch die Lebenserwartung der IGBT-Module voraussichtlich sein wird hängt davon ab, wie hart oder weniger hart sie zyklisch mit hohem Strom beaufschlagt werden, sich also erwärmen und dann wieder abkühlen. Die Hersteller der IGBT-Module haben entsprechende Informationen zur IGBT-Lebensdauer in Abhängigkeit von Temperaturwechseln bei Wechsellast.

Eine typische Wechsellastapplikation ist z.B. der Einsatz eines Antriebswechselrichters für Personenaufzüge. Diese werden in mehreren (zehn) Sekundenintervallen voll beschleunigt, abgebremst und festgebremst, um die Passagiere ein- und aussteigen lassen zu können. Wird ein IGBT-Modul in dieser Applikation mit einem Temperaturhub von z.B. 85 °C belastet, so kann dieses schon in einem Zeitraum von 12 Monaten das Ende seiner Lebenszeit erreicht haben. Der gleiche Wechselrichter, betrieben als Antriebswechselrichter für eine Pumpe, welche kaum Laständerung erfährt, und wenn, dann über einen Zeitraum von Stunden, erreicht unter gleichen Lastbedingungen eine Lebensdauer von Jahren. Das heißt im Umkehrschluss, dass in Wechsellast behafteten Applikationen die IGBT-Module und das thermische Design überdimensioniert werden sollten, um eine adäquate Lebensdauer zu erreichen. //KU

* * Werner Bresch ... ist Gesellschafter der GvA Leistungselektronik, Mannheim.

* Erik Rehmann ... ist Marketing Manager bei GvA Leistungselektronik, Mannheim.

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