Leistungshalbleiter: Fünf Tipps für ein robustes mechanisches Design

Von Dr.-Ing. Martin Schulz

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Zerschossen, zerschraubt, zerrissen, kaputtgeschüttelt, überdehnt: Leistungshalbleiter sind Diven und wollen auch so behandelt werden. Einige mechanische Grundlagen gilt es zu berücksichtigen.

Bild 1: Ärgerlich – der nicht entfernte ESD-Streifen unten links verhindert, dass der Halbleiter wie gewünscht funktioniert. Mehrere Module landeten unnötiger Weise mit dem Vermerk „Gate-Emitter verbunden“ in der Retouren-Analyse.
Bild 1: Ärgerlich – der nicht entfernte ESD-Streifen unten links verhindert, dass der Halbleiter wie gewünscht funktioniert. Mehrere Module landeten unnötiger Weise mit dem Vermerk „Gate-Emitter verbunden“ in der Retouren-Analyse.
(Bilder: Infineon)

Leistungselektronische Komponenten erscheinen häufig als solide und robuste Gebilde. Neben den elektrischen Eigenschaften sind die mechanischen Einsatzbedingungen dieser Bauteile von erheblicher Bedeutung für die Lebensdauer eines Gesamtsystems. Fehlerhafte mechanische Handhabung kann dabei ebenso zu unerwartet frühen Ausfällen führen wie mechanische Spannungen und Vibration.

Zerschossen: nur angefasst und schon kaputt

Der Aufbau von Umrichtersystemen beginnt, wie fast jeder Zusammenbau, mit dem Auspacken der einzelnen Komponenten. Was bei passiven und mechanischen Komponenten ohne Nebenwirkungen möglich ist, kann für leistungselektronische Bauteile bereits zu deren Vorschädigung oder gar zur Zerstörung des Bauelements führen. Das Zauberwort heißt ESD. Hinter dem Kürzel verbirgt sich der Begriff Electrostatic Discharge (elektrostatische Entladung).

Elektrische Ladungen entstehen beispielsweise durch Reibung von Schuhen auf Teppichen oder Kleidung an Textiloberflächen von Stühlen. Sie sammeln sich dabei am menschlichen Körper an. Ihre schlagartige Übertragung auf empfindliche Eingänge von Leistungselektronik wie Gate-Anschlüsse führt zu Spannungsspitzen von bis zu einigen hundert Volt.

Ist genügend Ladung vorhanden, kann die hierbei freigesetzte Energie eine erste Schädigung hervorrufen. Selbst wenn das Bauelement zunächst unauffällig ist, kann diese Vorschädigung im Feld zum Frühausfall führen. Dies lässt sich durch ESD-gerechtes Schuhwerk sowie entsprechende Kleidung und Laborausrüstung verhindern.

Bei einigen Halbleitermodulen wird ein ESD-Schutz in Form von leitenden Aufklebern aufgebracht. Dieser ist unter Berücksichtigung der ESD-Richtlinien unbedingt zu entfernen. Eine Montage der Ansteuerung durch den ESD-Schutz hindurch, wie in Bild 1 geschehen, führt zu Fehlfunktion des Systems, da sich der Halbleiter nicht einschalten lässt.

Zerschraubt: wenn Biegekräfte sinnlos walten

Leistungshalbleiter in Modulbauform sind wegen der zu erwartenden Verlustleistung auf geeignete Kühlkörper zu montieren. Insbesondere bei Modulen mit metallenen Bodenplatten sind es dann Schrauben, deren Drehmoment die endgültigen, auf das Modul wirkenden Kräfte definiert. Trotz der in der Regel mehrere Millimeter dicken Bodenplatten können Biegekräfte entstehen, die eine Zerstörung des Moduls zur Folge haben. Unsachgemäße Aufbringung von zähflüssigen Wärmeleitpasten kann diesen Effekt herbeiführen oder begünstigen, der Zusammenhang ist in Bild 2 verdeutlicht.

Bild 2: Biegung einer Bodenplatte mit zähflüssiger Wärmeleitpaste führt zur Zerstörung des Moduls.
Bild 2: Biegung einer Bodenplatte mit zähflüssiger Wärmeleitpaste führt zur Zerstörung des Moduls.
(Bild: Infineon)

Auf der Bodenplatte ist zunächst das Wärmeleitmaterial ungleichmäßig dick aufgetragen. Im ersten Schritt wird eine Schraube an einer Modulseite angezogen, wodurch das Wärmeleitmaterial in Richtung Modulmitte verdrängt wird. Beim Anziehen der gegenüberliegenden Schraube wird die Bodenplatte nun im zweiten Schritt über die unter dem Modul gesammelte Paste gebogen. Die auf die im Modul liegenden Keramiken ausgeübten Biegekräfte führen im dritten Schritt zur Rissbildung in der Keramik, was mit dem Verlust der Isolierfestigkeit einhergeht.

Dieser Fehler taucht im Endtest fertiger Geräte als Ausfall auf. Er lässt sich vermeiden, indem Wärmeleitpaste nicht mit Pinseln oder Rollen sondern mit Schablonendruck aufgebracht wird. Schrauben sind in der vom Hersteller empfohlenen Reihenfolge mit entsprechenden Drehmomenten anzuziehen, eine Pause zwischen dem ersten Anziehen und dem Aufbringen des finalen Drehmomentes ist dabei einzuhalten.

Bild 3: Grobe Verunreinigungen auf Montageflächen führen zu Biegekräften. Hier war eine Zahnscheibe im Spiel (die Unterlegscheibe darunter dient dem Größenvergleich).
Bild 3: Grobe Verunreinigungen auf Montageflächen führen zu Biegekräften. Hier war eine Zahnscheibe im Spiel (die Unterlegscheibe darunter dient dem Größenvergleich).
(Bild: Infineon)

Der gleiche Fehlermechanismus zerstört Module auch, wenn die Vorgabe für die Oberflächenebenheit von Kühlkörpern nicht eingehalten ist oder größere Verunreinigungen auf der Montagefläche verbleiben. Bild 3 zeigt ein Modul, bei dem die zerstörerischen Biegekräfte auf eine Zahnscheibe zurückgehen, die versehentlich bei der Montage unter den Halbleiter geriet.

Zerrissen: tödliche Zugkräfte am Terminal

Der Aufbau von Modulen setzt sowohl die Anbindung an den Kühlkörper als auch eine Verbindung mit der Steuerelektronik und den Terminals für den Laststrom voraus. Im Fall von Modulen für Leistungen im Bereich von hunderten kW oder mehr sind Treiberstufen oft direkt am Modul montiert. Stromzuführungen an den AC-Terminals und DC-Anbindungen sind als Schienen oder Platten mit erheblichem Gewicht ausgeführt. Bild 4 zeigt schematisch, in welcher Richtung Kräfte auf das Modul wirken dürfen.

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Bild 4: Auf ein Modul wirkende Kräfte gemäß Application Note zur Montage.
Bild 4: Auf ein Modul wirkende Kräfte gemäß Application Note zur Montage.
(Bild: Infineon)

Zugkräfte auf die Terminals sind unbedingt zu vermeiden, da Module für Kräfte in dieser Richtung nicht ausgelegt sind. Diese können bis in die Verbindungsstelle auf der DCB wirken und deren Verschleiß beschleunigen. Intermittierende Kontakte oder der völlige Verlust der Anbindung von Terminals können die Folgen sein.

Geschüttelt: mechanischer Stress, der tödlich ist

Für alle mechanischen Aufbauten gilt, dass Vibration mit der richtigen Frequenz und der passenden Amplitude auf Dauer zerstörerisch wirkt. Trotz des robusten Erscheinungsbildes gilt diese Tatsache auch für Halbleitermodule.

Vibration tritt nicht nur in mobilen Anwendungen auf. Das 50-Hz-Brummen im Schaltschrank, hervorgerufen durch Drosseln oder Transformatoren, erzeugt ebenfalls Schwingungen. Mittels eines passenden Laboraufbaus lässt sich die Situation auch am fertigen Gerät nachstellen und beobachten. Bild 5 ist ein Screenshot aus einer solchen Untersuchung.

Die Zerstörung der Bonddrähte ist vermeidbar

Bild 5: Untersuchung von Vibrationseinflüssen im Laboraufbau (die im Bild rot dargestellte, gewölbte Fläche zeigt, wie sich die Ebene entlang der Seitenwand des Moduls verschiebt).
Bild 5: Untersuchung von Vibrationseinflüssen im Laboraufbau (die im Bild rot dargestellte, gewölbte Fläche zeigt, wie sich die Ebene entlang der Seitenwand des Moduls verschiebt).
(Bild: Infineon)

Die im Bild rot dargestellte, gewölbte Fläche zeigt, wie sich die Ebene entlang der Seitenwand des Moduls verschiebt. Wenngleich stark vergrößert ist doch gut zu erkennen, dass die Modulwand dynamisch deformiert wird, was zu erheblichem mechanischen Stress auf die dort befestigten Bonddrähte führt. Die Zerstörung der Bonddrähte durch die kleine aber kontinuierliche Auslenkung lässt sich vermeiden. Stützen in hinreichender Anzahl und die sichere Befestigung größerer Massen sind hierfür unumgänglich. Als größere Masse im Umrichter können Zwischenkreiskondensatoren oder Netzdrossel in Betracht kommen, aber auch großvolumige Stromsensoren und Übertrager.

Ausgedehnt: Leistungsmodule auf der Streckbank

Die thermische Ausdehnung von Metallen, insbesondere in großen Umrichtern, übt einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Lebensdauer von Modulen aus. Der Ausdehnungskoeffizient von Kupfer liegt bei 16,5 ppm pro Kelvin. Der Aufbau von Umrichtern im Leistungsbereich von MW geschieht häufig auf Basis parallel geschalteter Module. Ist ein gemeinsamer DC-Zwischenkreis vorgesehen, können laminierte Strukturen über einige Meter hinweg als Verbindung dienen.

Eine 1500 mm lange Kupferplatte ändert ihre Länge um etwa 24 µm/K. Eine Temperaturschwankung um 100 K über ein Jahr hinweg, durch Einfluss von Außentemperatur und Stromfluss, ist keine Seltenheit. Die daraus resultierende Längenänderung kann somit im Bereich einiger Millimeter liegen, die damit einhergehenden Kräfte im Bereich hunderter Newton.

So ist der Ausfall des Bauteils vorprogrammiert

Konsequenter Weise sind solch große Verbindungselemente an beiden Enden massiv zu verankern, da sonst die Gefahr droht, dass die Ausdehnung von nur einem festen Punkt ausgeht. Das letzte an der Platte befestigte Modul erfährt dann die gesamte Ausdehnung und damit die größte Kraft; der Ausfall ist vorprogrammiert.

Aus den fünf beschriebenen Gründen sollte der Entwickler neben den elektrischen Eigenschaften auch den mechanischen Aufbau und die thermische Situation im Auge behalten. Der Leistungshalbleiter darf dabei nicht als tragende Komponente in Betracht kommen, er ist möglichst so in den Aufbau zu integrieren, dass er kräftefrei bleibt. Abgesehen von den stationären Kräften sind es insbesondere Vibrationen, die es durch geeignete Tragelemente zu verhindern gilt. Findet all dies Beachtung, wird sichergestellt, dass am Ende nicht die mechanischen Gegebenheiten Ursache von Frühausfällen sind.

* Dr. Martin Schulz arbeitet im Application Engineering bei Infineon Technologies, Warstein.

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