50 Prozent Netto-Energiegewinn Endlich: Durchbruch bei Kernfusion

Von Michael Eckstein

Kernfusion verspricht klimaneutrale, günstige und in Massen produzierbare Energie. Weltweit wird daher versucht, eine Mini-Sonne auf der Erde zu bauen. Erstmals soll es nun gelungen sein, eine Reaktion zu zünden, die mehr Energie liefert, als sie benötigt. Hier die Details und Hintergründe zum Versuch.

Unter Druck: Im Inneren der Sonne verschmelzen Wasserstoffatome bei rund 16 Millionen Grad Celsius und einem Druck von etwa 200 Milliarden Atmosphären. Diese Kernfusion setzt sehr viel Energie frei. Auf der Erde lässt sich ein so hoher Druck in den Fusionsreaktoren nicht realisieren. Damit die Fusion zündet, sind daher umso höhere Temperaturen nötig – im Inneren des Plasmas rund 150 Millionen Grad.
Unter Druck: Im Inneren der Sonne verschmelzen Wasserstoffatome bei rund 16 Millionen Grad Celsius und einem Druck von etwa 200 Milliarden Atmosphären. Diese Kernfusion setzt sehr viel Energie frei. Auf der Erde lässt sich ein so hoher Druck in den Fusionsreaktoren nicht realisieren. Damit die Fusion zündet, sind daher umso höhere Temperaturen nötig – im Inneren des Plasmas rund 150 Millionen Grad.
(Bild: gemeinfrei / Pixabay)

Kernfusionsreaktionen sind der Grund dafür, dass Sterne Unmengen Energie abstrahlen. So liefert beispielsweise unsere Sonne so viel Energie, dass sich in rund 150 Millionen Kilometer Entfernung auf der Erde Leben entwickeln konnte. Und dass, obwohl der blaue Planet nur einen winzigen Bruchteil der von der Sonne ringsum abgestrahlten Gesamtenergie abbekommt. Kein Wunder, dass Wissenschaftler seit Jahren versuchen, diese Art der Energieerzeugung nachzubilden – und quasi eine Mini-Sonne auf der Erde zu bauen. Zumal sie im Gegensatz zur Kernspaltung praktisch keine gefährlichen, radioaktiven Nebenprodukte erzeugt.

Doch trotz mittlerweile 70-jähriger Forschung und etlichen milliardenteuren Experimenten ist es bislang nicht gelungen, bei einer Kernfusion mehr Energie zu erzeugen, als zur Aufrechterhaltung des Prozesses zugeführt wird.

Bis jetzt.

Nach eigenen Angaben haben Forschende nun einen historischen Durchbruch erzielt: Erstmals wollen sie in der National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien eine Kernfusion mit Netto-Energiegewinn erzeugt haben – und damit bewiesen haben, dass die Technik tatsächlich funktioniert. Der Gewinn habe bei rund 50 Prozent gelegen. Dieses auf vorläufigen Daten basierende Resultat wäre ein Meilenstein auf dem Weg zur Erschließung einer neuen Energiequelle, die möglicherweise eines Tages klimaneutral und sicher Strom in riesigen Mengen erzeugen könnte.

Im Vorfeld hatte die US-Energieministerin Jennifer Granholm einen „großen wissenschaftlichen Durchbruch“ angekündigt. Zunächst hatten US-amerikanische Medien wie CNN und die Zeitungen „Financial Times“ und „Washington Post“ darüber berichtet, mittlerweile gab es auch eine offizielle Pressekonferenz zum Versuch.

Demnach wurden bei dem Experiment 2,05 Megajoule (MJ) Energie in das Target eingebracht und 3,15 MJ an Fusionsenergie erzeugt – das sind rund 154 Prozent der zugeführten Energie. Es ist das erste Mal, dass ein Experiment zu einem bedeutenden Energiegewinn führt.

Fortschritte bei Kernfusion mehren sich

Schon vor knapp einem Jahr waren Fortschritte bei der Kernfusion an dem Institut verkündet worden. Anfang des Jahres berichtete ein Forschungsteam in der Fachzeitschrift „Nature“, dass man es geschafft habe, das Plasma im Reaktor zu entzünden. Dies ist die Vorbedingung dafür, dass die Fusionsreaktion sich selbst erhält. Plasma ist ein Aggregatzustand, den extrem erhitztes und unter hohem Druck stehendes Gas einnimmt. Es beschreibt ein Teilchengemisch aus Ionen, freien Elektronen und meist auch neutralen Atomen oder Molekülen.

Sowohl die heute weltweit genutzte Kernspaltung („Kernkraft“) als auch die Kernfusion gewinnen Energie aus den Bindungskräften von Atomkernen. Die Kernkraft basiert auf der Spaltung großer Atome. Dabei entstehen unter anderem tödliche harte Strahlung und radioaktive Nebenprodukte mit extrem langen Halbwertszeiten von tausenden bis hin zu etlichen Millionen Jahren – GAU-Ereignisse wie in Tschernobyl oder Fukushima haben die Gefährlichkeit dieser Art der Energieerzeugung drastisch vor Augen geführt. Von der ungeklärten Endlagerung abgebrannter, strahlender Brennstäbe ganz abgesehen.

Kernfusion gilt als sauber und sicher

Bei der Kernfusion hingegen werden kleine Atomkerne zu größeren verschmolzen, also fusioniert. Diese Technologie gilt als sauber und sicher. Diese Energiegewinnung ähnelt den Vorgängen in Sternen wie der Sonne. Mit einem entscheidenden Unterschied: Druck. Die schiere Masse der Sonne – sie allein vereint 99,86 Prozent der Masse des gesamten Sonnensystems – erzeugt einen ungeheuren Gravitationsdruck, der zum Beispiel Wasserstoffkerne zusammenpresst und zu Helium fusionieren lässt.

Dieser Druck – im Zentrum beträgt er etwa 200 Milliarden bar – lässt sich auf der Erde nicht erzeugen. Daher versucht man, die nötige Energie durch Temperatur zuzuführen – mindestens 120 Millionen Grad Kelvin sind nötig, damit die Fusion zündet. Zum Vergleich: Im Sonneninneren ist es „nur“ gut ein Zehntel so heiß. Diese physikalischen Extreme sind der Grund dafür, dass die technische Nutzung der Kernfusion bislang noch nicht geglückt ist. Bislang musste mehr Energie zum Aufheizen des Plasmas zugeführt werden, als als Energie gewonnen werden konnte.

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Gamechanger: Weltweit stärkste Laseranlage

Die Forschenden in Kalifornien nutzten für ihre Experimente die weltweit stärkste Laseranlage, um winzige Mengen von schwerem und überschwerem Wasserstoff (Deuterium und Tritium) in ein Millionen Grad heißes Plasma zu wandeln. Dabei erhitzen viele Laserstrahlen das Innere eines wenige Millimeter großen Behälters.

Das jüngste IFE-Experiment ist laut Professor Constantin Häfner, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT und Beauftragter für Fusionsforschung der Fraunhofer-Gesellschaft, ein großer Erfolg für die Wissenschaft – und ein Beweis für die Vielseitigkeit und Präzision von Lasern. Die 3,5 Milliarden Dollar teure NIF-Anlage verwendet das weltweit energiereichste Lasersystem und das größte optische System der Welt. Es besteht aus ca. 7.500 meterlangen Spezialoptiken, die Laserenergie erzeugen und auf das Ziel lenken.

Pellet-Heizung mit 120 Millionen Grad Brenntemperatur

Wie die Experten des Fraunhofer ILT beschreiben, leiten beim NIF-Experiment riesige gepulste Laser die Energie von über zwei Millionen Joule UV-Licht präzise in einen etwa 1 cm langen goldbeschichteten Zylinder, den so genannten „Hohlraum“. Dort werden durch die Wechselwirkung der Laserstrahlen mit den Innenwänden Röntgenstrahlen erzeugt. Diese verteilen sich im Hohlraum gleichmäßig wie in einem heißen Ofen. Ein etwa zwei Millimeter kleines Kügelchen, das ein Gemisch aus den Wasserstoffisotopen Deuterium und Tritium enthält und in der Mitte des Hohlraums schwebt, absorbiert die sich ausbreitenden Röntgenstrahlen und heizt sich dabei schnell auf.

Die äußere Hülle des sogenannten Pellets wird schließlich abgesprengt. Daraus resultiert ein Implosionsdruck, der den Wasserstoffbrennstoff auf das Hundertfache der Dichte von fester Materie komprimiert und in seinem Zentrum einen heißen Punkt mit einer Temperatur von mehr als 120 Millionen Grad Celsius bildet. Dies wiederum löst die Fusion von Wasserstoff zu Helium aus.

52.500.000.000.000.000 Watt: Die Fusion setzt immense Mengen Energie frei

Bei jeder Fusionsreaktion von zwei leichten Kernen werden pro Reaktion 17,6 MeV in Form von Neutronen und Alphateilchen freigesetzt. Die Alphateilchen werden sofort wieder vom Plasma absorbiert, wodurch es sich weiter aufheizt und eine sich selbst erhaltende Verbrennungswelle ausgelöst wird. Nach weniger als 100 Pikosekunden führen die hohe Temperatur und der enorme Druck dazu, dass sich der verbleibende Brennstoff ausdehnt und die Parameter unter den Schwellenwert für die Fusion, das so genannte Lawson-Kriterium, fallen. Dieser Effekt macht die Fusionsreaktion auch sicher, da keine kritische Kettenreaktion auftreten kann.

Im aktuellen Experiment wurden 2,05 MJ Laserenergie verwendet, um das Target zu komprimieren und zu erhitzen. Aufgrund von Ineffizienzen im Implosionsprozess wird nur rund ein Prozent der Energie an den heißen Punkt geliefert. Der durch die Fusionsreaktion ausgelöste thermische Durchbruch zündete das Plasma und erzeugte etwa 3,15 MJ Energie mit einer momentanen Leistung von etwa 52.500.000.000.000.000 Watt, deren Durchmesser weniger dick ist als ein Haar. Der entscheidende Fortschritt gegenüber früheren Ergebnissen wurde durch Daten aus früheren Experimenten und ein besseres Verständnis der Fusionsphysik ermöglicht, was dann zu Verbesserungen des Hohlraumdesigns, der Struktur des Brennstoffpellets und Modifikationen des Lasers und des Laserpulses führte.

US-Meldungen: Noch 10 Jahre bis zum Fusionskraftwerk

Nach Angaben des Fraunhofer-Experten Häfner wird die NIF-Anlage in der Regel einmal pro Tag gezündet. Bis zu einem IFE-Demonstrator oder gar -Kraftwerk wird daher noch einige Zeit vergehen: Für einen technisch nutzbaren Betrieb müsste die Anlage 10- bis 20-mal pro Sekunde mit hohem Wirkungsgrad zünden. Alle Brennstoff-Target-Injektionssysteme, Abfallentsorgungssysteme und Laserkonzepte müssen Effizienz, Zuverlässigkeit, Wartungsfreundlichkeit und Betriebsfähigkeit demonstrieren; Architekturen und Technologien müssen zu fusionskraftwerkstauglichen Geräten ausgereift werden, während gleichzeitig die Produktions- und Betriebskosten gesenkt und die Lieferketten gesichert und aufgebaut werden. Die notwendigen Kostensenkungen, die oft mehrere Größenordnungen ausmachen, erfordern innovative und bahnbrechende Lösungen der Laser- und Optikindustrie.

„Nehmen wir an, dass wir im Jahr 2050 mehrere Fusionskraftwerke pro Jahr in Betrieb nehmen müssen, damit IFE zu unserer Stromversorgung beitragen kann. Das erfordert die Produktion von vielen hundert leistungsstarken Lasern in der Größe von Überseecontainern“, sagt Prof. Häfner. Die Fertigung von Lasern und Optiken müsste völlig gedacht werden: „Es sind automatisierte Produktionslinien wie in der Automobilindustrie erforderlich – nur mit der Genauigkeit von wenigen optischen Wellenlängen.“

Massenfertigung von Lasern und Optiken mit Wellenlängengenauigkeit nötig

Verstärkermedien, Optiken, Beschichtungen, Kristalle – all dies erfordert eine Massenproduktion zu niedrigen Kosten. Laut Häfner gibt noch viele weitere komplexe Probleme auf dem Weg zur Fusionsenergie zu lösen. Gleichzeitig ist er zuversichtlich: Die Herausforderungen würden zur Innovation anspornen, und die Innovation zögen neue Lösungen auf anderen Märkten nach sich, so dass sich die Investitionen schnell amortisieren würden. „Die Fusionsenergie ist ein Unterfangen, bei dem viel auf dem Spiel steht, und als solches ist es eine gute Strategie, anzufangen und die vielversprechendsten Ansätze zu verfolgen. Das Rennen ist eröffnet.“

US-Energieministerin Granholm bezeichnete das jetzt erreichte Ergebnis in einer Erklärung als „bahnbrechenden Erfolg“. Die Forschenden würden mit ihren Arbeiten den USA dabei helfen, die „die komplexesten und dringendsten Probleme der Menschheit zu lösen – wie die Bereitstellung sauberer Energie zur Bekämpfung des Klimawandels“. Die Direktorin von Livermore, Dr. Kim Budil, bezeichnete die Versuche der Wissenschaftler, die Kernfusion im Labor zu zünden, als „eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Herausforderungen, die die Menschheit je in Angriff genommen hat“ und lobte die Arbeit der Wissenschaftler ihres Labors.

In den letzten Jahren und Monaten gab es immer wieder Berichte, die aufhorchen ließen. So hatte etwa ein südkoreanischer Fusionsreaktor Plasma mit 100 Millionen °C für 30 Sekunden aufrecht erhalten. Und im Februar diesen Jahres stellte die weltgrößte Kernfusionsanlage JET (Joint European Torus) im britischen Culham einen Energie-Weltrekord auf: Sie lieferte stabile Plasmen mit einer Energieausbeute von 59 Megajoule. (me)

Mit Material von National Ignition Facility (NIF), US-Energieministerium, Fraunhofer ILT, dpa

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