Power2Power: Silizium-IGBT-Forschung gegen Wide-Bandgap

Es geht um den Erfolg der europäischen Mikroelektronikindustrie: Das Koop-Projekt Power2Power erarbeitet neue Leistungshalbleiter in Silizium und Systemarchitekturen mit höherer Energieeffizienz.

Dünnwafer: Auf den 300-mm-Silizium-Scheiben sollen die neuartigen IGBT-Dies gefertigt werden.
Dünnwafer: Auf den 300-mm-Silizium-Scheiben sollen die neuartigen IGBT-Dies gefertigt werden.
(Bild: Infineon)

Silizium als Werkstoff für Halbleiter ist seit Jahrzehnten etabliert, kostengünstig, robust und zuverlässig, mit hoher Spannungsfestigkeit und beinah perfekter Kristallstruktur für eine hohe Konzentration und Beweglichkeit der Ladungsträger. Im Verlauf der Miniaturisierung elektronischer Systeme und höherer Schaltfrequenzen näherte sich die Siliziumtechnik allmählich an physikalische Grenzen etwa hinsichtlich Leistungsdichte, Verlustleistung, Die-Temperatur und On-Widerstand.

Über diese natürliche Siliziumgrenze hinaus lässt sich der Durchlasswiderstand für eine bestimmte Die-Fläche erst einmal nicht weiter verringern, ohne auch die Durchbruchspannung zu reduzieren. Alternativen bieten Wide-Bandgap-Halbleiter mit ihren Vorteilen. Doch die Forschung weiß auch: Die bewährte und preiswerte Silizium-Technik ist lang noch nicht am Ende; sie punktet immer wieder durch beispielsweise geschickte Schaltungstopologie.

Etwa 95% aller leistungselektronischen Anwendungen basieren auf der traditionellen Silizium-Technik. Hierin ist der Silizium-IGBT das Zugpferd der Leistungselektronik. Das Marktwachstum für diskrete IGBTs und IGBT-Module liegt bei etwa 15% jährlich. Die IGBT-Performance muss entsprechend den wachsenden Anforderungen neuer Anwendungen steigen. So kann sie auch den Wide-Bandgap-Pendants Paroli bieten.

Forschung & Politik starten die europäische Kooperation Power2Power

Im Juni 2019 startete dazu das Projekt Power2Power, in dem 43 Technologie-Partner in acht Ländern in den nächsten drei Jahren die dringlichsten Problemfelder intensiv analysieren und Lösungen erarbeiten. Dazu gehört im ersten Schritt eine neue qualifizierte Technologie für Silizium-IGBT oberhalb 1700 V, gefertigt auf 300-mm-Wafern.

Die Junction-Temperatur wird auf 200 °C spezifiziert, wodurch eine Steigerung der Leistungsdichte um 20% ermöglicht werden soll. Eine fünfzigprozentige Verlängerung der IGBT-Lebensdauer und zehnprozentige Reduktion der Verluste formulieren das Projektziel weiter. Um die nahezu äquivalente Kostensituation im Vergleich zu bestehenden Leistungsbausteinen zu erreichen, sind das Packaging und die etablierte Fertigungstechnik in Europa gleichfalls im Fokus der Forschung.

„Wer denkt, bei Silizium-Bauelementen gäbe es keine Fortschritte mehr, der täuscht sich“, konstatiert Professor Josef Lutz von der TU Chemnitz, „die Silizium-Zukunft ist glänzend und Hersteller von Siliziumkarbid-Leistungshalbleitern müssen sich warm anziehen.“

TU Chemnitz forscht für mehr Zuverlässigkeit und Robustheit

Alle Partner von „Power2Power“ werden in mehreren Wertschöpfungsstufen an deutschen Standorten Pilotlinien für die Fertigung innovativer und zukunftsfähiger Leistungselektronik aufbauen. Die TU Chemnitz ist beteiligt an den Arbeiten zur Verbesserung von Zuverlässigkeit und Robustheit der zukünftigen Leistungselektronik im Bereich der IGBT. Diese spannungsgesteuerten Transistoren sind essentiell für die Leistungselektronik etwa zur Motorregelung, in Windkraftanlagen und Elektrofahrzeugen. Die Arbeiten vieler europäischer Partnerinnen und Partner in dem Teilgebiet werden durch das Fraunhofer-Institut ENAS in Chemnitz koordiniert.

„Robustheit bedeutet, dass der Leistungshalbleiter auch Überlastfälle und unvorhergesehene Zustände wie einen Kurzschluss überstehen kann, ohne auszufallen. Zuverlässigkeit bedeutet also zu gewährleisten, dass alle möglichen Fehlerfälle bekannt sind, ihr Auftreten berechenbar ist und sich das System so auslegen lässt, dass diese Fehlerfälle auf ein Minimum reduziert werden“, erklärt Projektpartner Prof. Dr. Josef Lutz, Inhaber der Professur Leistungselektronik an der TU Chemnitz. „Hierzu müssen insbesondere auch Mechanismen der Materialermüdung experimentell erforscht werden, ihre Gesetze verstanden und entsprechende Regeln für die Auslegung bekannt sein. In einer Gesellschaft mit hochwertiger Technik hängt immer mehr von der Zuverlässigkeit der Leistungselektronik ab – beispielsweise Sicherheit beim Fahren und sicheres Arbeiten von Anlagen in der Stromversorgung.“

Das Projektvolumen von Power2Power beläuft sich auf insgesamt rund 74 Mio.€. Zwei Drittel davon entfallen auf die deutschen Partner. Die Europäische Union fördert die Kooperation im Rahmen des ECSEL-Programms (Electronic Components and Systems for European Leadership). Aus Deutschland kommt finanzielle Unterstützung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie von den beiden Bundesländern Sachsen und Thüringen. Auch die anderen Partnerinnen und Partner aus weiteren sieben Ländern werden von ihren zuständigen nationalen Behörden gefördert.

Von den 43 europäischen Partnerinnen und Partnern sind drei aus Chemnitz und der Region: Neben der TU Chemnitz und ENAS ist auch die Firma EAAT beteiligt. Es ist ein wichtiger Erfolg für den Forschungsstandort Chemnitz und unterstreicht die internationale Bedeutung der Forschung vor Ort. Die Projekt-Koordination hat Infineon Dresden. Die am Projekt beteiligten Länder sind neben Deutschland: Österreich, Finnland, Ungarn, Niederlande, Slowakei, Spanien und Schweiz.

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„In Sachsen ist der größte Mikroelektronik-Standort Europas zu Hause“, betont Ministerpräsident Michael Kretschmer, „für den Ausbau und die Weiterentwicklung des Silicon Saxony sind europäische Kooperationen wie Power2Power von enormer Bedeutung. Das Projekt berücksichtigt alle Wertschöpfungsstufen und verbindet Innovationen mit Energieeffizienz. Dies kann entscheidend dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Mikroelektronikindustrie zu erhöhen.

„Mikroelektronik ist ein Schlüssel für erfolgreiche Industrieprodukte aus Deutschland und Europa“, konstatiert Dr. Herbert Zeisel, Ministerialdirigent im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Die jüngsten Handelskonflikte machten deutlich, wie Souveränität und Selbstbestimmtheit von eigener Fähigkeit in Forschung und Technologie abhängen. Das Projekt Power2Power zeige, wie wir uns im globalen Wettbewerb behaupten können. Zeisel: „Europa, Deutschland, Sachsen und Thüringen ziehen im ECSEL-Programm an einem Strang.“

Die europäische Halbleiterindustrie beschäftigt mehrere hunderttausend Arbeitnehmer. Sie entfaltet aber in ihren technologienahen Anwenderindustrien einen noch weitaus größeren Hebel. „Ein wichtiger Schwerpunkt liegt auf dem stark wachsenden Markt für Leistungselektronik“, sagt Bert De Colvenaer, Executive Director ECSEL Joint Undertaking, „im Hinblick auf die globale Konkurrenz, vor allem aus Asien, wird Power2Power dabei helfen, den Fertigungsanteil europäischer Unternehmen am Weltmarkt zu vergrößern und ihre führenden Positionen weiter zu stärken.“

Insbesondere in Deutschland werde das Kooperationsprojekt Power2Power dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der Halbleiterfertigung auszubauen. Für Leistungshalbleiter gibt es hier eine besonders weitreichende Wertschöpfungskette, die auch dieses Projekt umfasst: von speziellen Silizium-Wafern (Siltronic), über die IGBT-Produktion bei Infineon in Dresden und die nachfolgende Modulfertigung bei Infineon in Warstein bis hin zu Systemen und dem dazugehörigen Wissen, etwa vertreten durch die KMUs EAAT und AVL sowie die Technische Universität Dresden.

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