Ratgeber: Simulation Frag den Schulz! Simulation und Wirklichkeit im Einklang
Eine Diode für 500 A mit 2000V Sperrfähigkeit soll ausgelegt werden. In Kombination mit dem Kühlsystem darf der Temperaturhub am Chip maximal 85K betragen. Simulation soll zeigen, ob das erreichbar ist.

Simulation ist eine Möglichkeit, mit numerischen Mitteln abzuschätzen, was unter gegebenen Bedingungen in einer Applikation geschieht. So gut wie alle physikalischen Vorgänge lassen sich in Gleichungen verpacken, mit denen man berechnen kann, wie sich ein System verhält. Richtig eingesetzt und die Ergebnisse der Simulation richtig interpretiert, stellt das ein mächtiges Werkzeug dar, auch beim Design leistungselektronischer Systeme.
Aber wer kennt nicht die Geschichte des Luftfahrtingenieurs, dessen Simulation ganz klar ergab, dass Hummeln nicht fliegen können? Das GiGo-Prinzip der Simulation bleibt bestehen: Garbage in – garbage out. Womit und wie präzise man die Simulation füttert, und wie man die Simulationsergebnisse interpretiert, hat eben einen erheblichen Einfluss auf die Aussage, die man mittels der Simulation am Ende tätigt.
Die Vorgeschichte
In der nahen Vergangenheit ergab sich die Aufgabe, eine Diode für 500 A mit einer Sperrfähigkeit von 2000 V auszulegen. Sowas ist natürlich kein SMD-Bauelement mehr und selbst bei nur 1 V Vorwärtsspannung entstehen an der Diode 500 W Verlustleistung. In Kombination mit dem Kühlsystem und der Anforderung an Lebensdauer sollte der Temperaturhub am Chip nicht mehr als 85K betragen.
Bevor man sich für das vorgeschlagene Bauelement entschied, sollte eine Simulation zeigen, ob sich die gesteckten Ziele erreichen lassen. Das Bauelement, ein Leistungshalbleiter in Modulbauform mit Kupferbodenplatte, hat einen geschichteten Aufbau wie er in Bild 1 schematisch dargestellt ist.
Anders als bei heutigen IGBT-Modulen ist ein flächendeckendes Kupferplättchen auf der Frontseite des Diodenchips aufgelötet. Die Verbindung zur Umgebung geschieht in dieser Aufbau- und Verbindungstechnik dann nicht über eine Vielzahl dünner Bonddrähte, sondern über eingelötete Clips.
Diese Technik hat sich im harten Einsatz als besonders robust dargestellt und ist bei Leistungshalbleitern wie Dioden und Thyristoren seit Jahrzehnten im Feld.
Für die Simulationsingenieure scheint so ein Aufbau eine leichte Übung darzustellen, denn sowohl die Materialeigenschaften als auch die Schichtdicken sind sehr genau bekannt. Für eine Simulation stehen also alle benötigten Parameter zur Verfügung.
Die Simulation
In einem ersten Schritt wurde ein für die Simulationssoftware taugliches 3D-Modell des Aufbaus entworfen, dargestellt in Bild 2. Um Simulationszeit zu sparen ist es üblich, nicht mehr Elemente als zwingend notwendig einzubringen und Symmetrien zu nutzen. Eine Vereinfachung besteht also darin, zunächst nur einen der beiden Chips zu simulieren und davon auszugehen, dass sich die Verlustleistung gleichmäßig auf beide Bauelemente verteilt.
Da der Chip sowohl in X- als auch in Y-Richtung symmetrisch ist, kann eine weitere Vereinfachung erfolgen, die darin besteht, nur eine Hälfte oder sogar nur ein Viertel der Chipfläche zu betrachten. Man entschied sich für die Berechnung mit der halben Chipfläche, bzw. eines Viertels des Halbleitermoduls, und das zugrunde liegende Modell in Bild 3.
Aus der Simulation und dem gezeigten Ergebnis ergab sich, dass das Bauteil „eine Chiptemperatur“ von 160°C erreicht und daher für den geplanten Einsatz eher nicht in Betracht komme. Eine genaue Betrachtung zeigt aber Schwachstellen in der Simulation und der Interpretation der Ergebnisse auf.
1) Es wurde nur der Chip als Wärmequelle simuliert. Die aufgelötete Kupferplatte und der Verbindungsclip sind nicht Teil der Simulation. Der Clip stellt aber einen thermischen Pfad mit erheblichem Querschnitt zur Verfügung, dessen zweiter Fuß auf einer gut gekühlten Fläche montiert ist. Der sich daraus ergebende Abfluss von Wärmeenergie wurde vernachlässigt.
2) Der Übergangswiderstand des thermischen Interface-Materials – der Wärmeleitpaste – ist wenig genau bekannt und sein Einfluss auf die Chiptemperatur ist erheblich. Die Annahme einer homogenen Schichtdicke mit einem homogenen Wärmeleitwert nach Datenblatt des Wärmeleitmediums liefert üblicher Weise kein realitätsnahes Ergebnis.
3) „Die Chiptemperatur“ wurde hier nicht korrekt ermittelt und stattdessen von einem Maximalwert in der Mitte des Chips ausgegangen.
Alle drei Faktoren beeinflussen die Simulation in der gleichen Richtung, hin zu einer zu konservativen Aussage.
Bereits eine Korrektur in der Betrachtung der Chiptemperatur liefert eine Entlastung [Referenz zum Artikel: Das Mysterium Chiptemperatur]. Die sogenannte virtuelle Chiptemperatur Tvj ergibt sich aus einer Mittelung der Temperatur in der Chipmitte und eine Ecke. Aus dem Daten der Simulation reduzieren sich die 160°C bereits zu Tvj= (2·TMitte+TEcke)/3=(320+130)°C/3=150°C.
Der Einfluss der fehlenden Metallteile kann auf ca. 5% Temperaturhub veranschlagt werden, ein ähnlicher Wert gibt sich für das Wärmeleitmaterial. Statt 95K Hub der Simulation nur 55K? Selbst eine Reduktion des Temperaturhubes um nur 10K brächte den Halbleiter ja schon in die gewünschte Situation.
Die Wirklichkeit
Um eine belastbare Antwort zu finden, wurde der Halbleiter auf ein Kühlsystem montiert und mittels einer Spannungsquelle bestromt, die bei einer Ausgangsspannung von maximal 10 V einen einstellbaren Strom von bis zu 1000A liefern kann. Eine IR-Kamera oberhalb des Halbleiters liefert die gewünschten Daten.
Da der Versuch unter Einsatz von Schutzkleinspannung erfolgt sind keine aufwändigen Schutzmaßnahmen notwendig, wie sie beim Arbeiten an hoher Spannung sonst zwingend erforderlich sind. Der Aufbau ist in Bild 4 abgebildet.
Die Messung erfasst den Strom, die Spannung an den Bauelementen und deren Temperatur im eingeschwungenen Zustand, der sich wegen der Flüssigkühlung bereits nach wenigen Sekunden einstellt. Bild 5 ist ein Bild der IR-Kamera, aufgezeichnet bei einem Strom von 500 A.
Die Messung wurde in 50 A-Schritten von 0-500A ausgeführt und die gewonnenen Daten in Bild 6 zusammengefasst. Die Datenreihe DTvj=f(ID) war eine erste Abschätzung des Temperaturhubes gegenüber der als konstant angenommenen Kühlkörpertemperatur.
Der Aufbau enthält aber eine Adapterplatte zur Montage des Halbleiters. Diese bringt ihrerseits einen weiteren Temperaturhub ein. Zur Korrektur kam daher die Temperatur der Adapterplatte, ebenfalls im Bild ermittelt, zur Berechnung der korrigierten Datenreihe DTvj_corrected=f(ID) zum Einsatz.
Aus der abgeschlossenen Messung geht hervor, dass der Halbleiter in der Applikation einen Temperaturhub von deutlich unter 60K erfährt, die Schätzung von 55K war also eine tatsächlich gute.
Das Fazit
Simulation, richtig gefüttert und richtig interpretiert, ist für Ingenieure ein hervorragendes Werkzeug, ohne kostspielige Experimente ein noch nichtexistierendes System zu betrachten. Ist man sich der Schwachstellen und Stolperfallen bewusst, lassen sich Ergebnisse kritisch betrachten.
Mit größer werdendem Erfahrungsschatz und wiederholter Optimierung durch Abgleichen der Simulation an gemessenen Ergebnissen werden auch Simulationen immer präziser und die Differenz zum Messergebnis kleiner. (jw)
* Dr. Martin Schulz ist Global Principal Application Engineer bei Littelfuse Europe.
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