Effektive Lebensdauerermittlung durch numerische Simulation
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Zur Lebensdauerabschätzung von Leistungshalbleitern ist die numerische Simulation ein wichtiges Werkzeug. Prognosen sind damit in wenigen Tagen statt Monaten möglich.

Wenn Leistungshalbleiter die gegebene elektrische Energie in die jeweils vom Verbraucher benötigte Form umwandeln, entsteht eine elektrische Verlustleistung, die zum Temperaturanstieg des Halbleiters führt. Mit zyklischer Wiederholung dieses Vorgangs führt diese Belastung unweigerlich zum Altern und Ermüden der Leistungshalbleiter. Hierbei ist die Aufbau- und Verbindungstechnik im Leistungshalbleiter die größte Schwachstelle. Während der Belastungszyklen werden Deformationen im plastischen Bereich erreicht und Verformungsenergie akkumuliert. Die Funktionsfähigkeit des Leistungshalbleiters wird hierdurch auf Dauer beeinträchtigt.
In Traktionsanwendungen ist mittlerweile eine Lebensdauer der Leistungshalbleiter von 30 Jahren eine übliche Forderung. In der Vergangenheit wurde eine Mindestlebensdauer der Elektronik durch großzügige Überdimensionierung sichergestellt. Mit fortschreitender Miniaturisierung, größerer Leistungsdichte und steigendem Wettbewerbsdruck ist dieses Vorgehen jedoch nicht mehr wirtschaftlich und somit veraltet. Um die anspruchsvollen Zuverlässigkeitsbedingungen erfüllen zu können ist ein Zusammenspiel aus modernen Messmethoden notwendig.
Die Lebensdauer von Leistungshalbleitern wird in der Entwicklungsphase durch Lastwechseltests bestimmt. Diese sind sehr umfangreich und zeitaufwändig, überdies werden dazu physikalische Prototypen benötigt. Exakte Aussagen über den Belastungszustand und die Ausfallursache können trotzdem nicht getroffen werden.
Eine Möglichkeit, Lastwechseltests auf ein Minimum zu reduzieren, bieten Simulationen auf Grundlage der Finiten Elemente Methode (FEM). Spannungs- und Dehnungszustände der Bauteile werden unter Betriebsbedingungen simuliert und lebensdauerbestimmende Parameter berechnet. Lebensdauerprognosen können dadurch im Vorfeld bezüglich diverser Aufbauten getroffen werden.
Die Vorgehensweise zur Lebensdauerermittlung von Leistungsmodulen mittles Prüfstandversuchen und numerischer Simulation ist in zwei Phasen unterteilt (Bild 1): In der Kalibrierungsphase werden mit Hilfe beschleunigter Lastwechseltests und FE-Simulationen zwei verschiedene Belastungsfälle durchgeführt, um das Coffin-Manson-Model zu kalibrieren. Dieses beschreibt den Zusammenhang zwischen der mechanischen Belastung Δεpl und der maximal möglichen Anzahl von Lastzyklen (Lebensdauer) Nf. In dieser ersten Phase werden die Unbekannten C1 (Coffin-Manson-Koeffizient) und C2 (Exponent) bestimmt.
In der Vorhersage-Phase lässt sich allein durch FE-Simulationen und das kalibrierte Coffin-Manson-Model die Lebensdauer bestimmen. Rechnungen ersetzen langwierige Prüfstandversuche; Lebensdauerabschätzungen, die normalerweise Monate dauern würden, können so, abhängig von den eingesetzten Berechnungsressourcen, in wenigen Tagen durchgeführt werden. Ein Beispiel: Der Lastwechselversuch für einen Temperaturhub von 70 K etwa dauert am Lastwechselprüfstand 175 Tage, die Simulation mit Konfiguration der Lebensdauergleichung plus Messung von zwei Kalibrierpunkten benötigt weniger als zwei Wochen.
Die numerische Simulation hat sich bei Lebensdauerbetrachtungen zu einem wichtigen Werkzeug entwickelt. Thermische, elektrodynamische, strömungsmechanische und mechanische Berechnungen werden miteinander gekoppelt (Bild 2). Diese multiphysikalische Kopplung ermöglicht es, komplizierte Wechselwirkungen zwischen verschiedenen physikalischen Einflüssen innerhalb eines Bauteils zu untersuchen. Durch die Erwärmung ändern sich beispielsweise der elektrische Widerstand und die Festigkeitskennwerte der eingesetzten Werkstoffe. Damit lässt sich in elektronischen Anwendungen der Erwärmungsprozess abbilden und Verlustleistungen sowie die daraus resultierenden thermisch induzierten Spannungen berechnen. Der versagenskritische Parameter der strukturmechanischen Analyse ist der plastische Dehnungsanteil Δεpl je Belastungszyklus. Mit diesem Parameter und der kalibrierten Coffin-Manson-Gleichung ist die Lebensdauer der Leistungsmodule berechenbar.
Der große Vorteil der Simulation ist, dass die Lebensdauer der Bauteile schnell prognostiziert werden kann. In Bild 3 wird die Auswertung der mechanischen Spannung bei einer FE-Analyse an einem Bonddraht dargestellt.
Damit lassen sich die kritischen Stellen ermitteln. Bei Prüfstandversuchen ist das nur mit einer aufwändigen Analyse der Prüflinge nach dem Test durch Röntgenaufnahmen und Schliffbilder möglich. Ein weiterer Vorteil der multiphysikalischen Simulation und einer Lebensdauergleichung für plastische Dehnungen zeigt sich bei Variantenstudien in frühen Entwicklungsphasen. Ein physikalischer Prototyp wird nicht benötigt; allein das CAD-Modell muss angepasst werden, um Aussagen über die Lebensdauer treffen zu können.
Im Bild 4 ist das Coffin-Manson-Diagramm eines Leistungsmoduls dargestellt. Dabei ist die Lebensdauer Nf über dem plastischen Dehnungsanteil pro Zyklus Δεpl in doppelt-logarithmischer Darstellung aufgetragen. Somit wird der lineare Zusammenhang der Variablen visualisiert und die entsprechenden Belastungszustände (ΔTj) mit verschiedenen Symbolen gekennzeichnet. An diesem Beispiel wird sichtbar: je geringer die thermische Belastung, desto kleiner ist der plastische Dehnungsanteil und entsprechend höher ist die zu erwartende Lebensdauer. Für die Lebensdauerermittlung allein mit dem Lastwechseltest würde eine Prüfzeit von 283 Tagen benötigt. Mittels numerischer Simulationen kann die Ermittlung der Lebensdauer auf wenige Tage reduziert werden.
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Lebensdauerbetrachtung
Auswahl und Zuverlässigkeit thermischer Interface-Materialien
16 Jahre umfassende Lebensdaueranalysen
Seit seiner Grünung vor 16 Jahren befasst sich das ZFW mit dem Wärme-Management und der Lebensdaueranalyse elektronischer Komponenten und Systeme. Dazu gehören viele Berechnungs-, Mess- und Prüfmethoden. Ein Schwerpunkt der Arbeiten ist, die möglichen Zustände einer Elektronik schon in einem frühen Entwicklungsstadium vorherzusagen, zu optimieren und letztlich die Lebensdauer auf einen gewünschten Wert zu bringen.
Meist liefern beschleunigende Umweltprüfungen die Grundlage für diverse Berechnungsmodelle. Die Kombination vieler Materialien und Belastungsprofile sorgt aber für eine beinahe unüberschaubare Menge an Ausfallmechanismen. Der Entwickler muss bei dieser Menge an Parametern den Überblick behalten – das ist nicht einfach.
Zu den wichtigen Themenfeldern gehören nach wie vor thermische Interface-Materialien, die sogenannten TIMs. Also Pasten, Gele, Pads, Folien oder Klebstoffe, die für einen guten Wärmetransport zwischen zwei Festkörperoberflächen sorgen.
Diese TIMs machen an den Gesamtkosten eines Systems nur einen kleinen Teil aus, bestimmen aber zu einem wesentlichen Teil die Lebensdauer des Gesamtsystems. Genaue Informationen zum Alterungsverhalten der TIMs sind heute in den wenigsten Fällen verfügbar. Da bleibt dem Entwickler nur sein Bauchgefühl.
Der detaillierte Nachweis der Betriebssicherheit ist Pflicht
Ein typisches Beispiel für eine lange Lebensdauer, wie eingangs angesprochen, sind Windkraftanlagen. 20 Jahre sind heute der Standard, die Reise geht in Richtung 30 Jahre Zuverlässigkeit. Wirtschaftlich interessant ist natürlich der Betrieb über die anfangs zertifizierte Lebensdauer hinaus. Das bietet die Möglichkeit, die Stromgestehungskosten deutlich zu senken. Der Weiterbetrieb erfordert den detaillierten Nachweis der Betriebssicherheit. Die Entwickler sind hier mehrfach gefordert: Neben der sorgfältigen thermischen, elektrischen und mechanischen Auslegung muss das Augenmerk besonders auf Rework- und Update-Prozessen liegen.
Besonderheiten in der elektrischen Antriebstechnik
Ein Merkmal der elektrischen Antriebstechnik ist, dass einer thermischen Belastung in der Regel auch eine Vibrationsbelastung überlagert ist. Deren reales Profil steht in der Entwicklungsphase nur selten zur Verfügung. Das ist dann die besondere Herausforderung.
Ein weiterer Punkt ist, dass in vielen Fällen die Einbausituation der Elektronik nicht bekannt ist. Beispielsweise wird das Motosteuergerät eines Pkw in verschiedenen Fahrzeugentypen an den unterschiedlichsten Stellen verbaut. Hier muss der Entwickler vom Worst-Case ausgehen. Das Elektroniksystem muss also so ausgelegt sein, dass es in heißer Nachbarschaft ohne kühlende Anströmung und ohne wärmeableitende Anschraubung oder Stecker überlebt.
Statistisch gesehen ist die Temperatur bei über 50% der Elektronik die Ausfallursache. Dazu gehören die Überschreitung der maximal erlaubten Temperatur und die Belastung durch Temperaturwechsel. Danach kommen bei den Ausfallursachen mechanische Einflüsse, beispielsweise durch Vibration, Schädigung durch Feuchte oder durch Staub. Interessant wird es, wenn man sich die Wechselwirkung der Schadensmechanismen näher betrachtet, die durch diese Einwirkungen zustande kommen.
Gründung und Schwerpunkte des ZFW Stuttgart
In Deutschland gibt es zwischen Hochschule oder Universität und der Industrie manchmal eine hohe gedankliche Mauer. Die Hochschulen profitieren zu wenig von den wichtigen praktischen Erfahrungen der Industrie und umgekehrt kommt das Knowhow der Hochschulen in der Praxis nicht an. Die moderne Infrastruktur der Hochschulen, wie etwa teure Messtechnik, wird so manchmal nur für kurzfristige Forschungsprojekte genutzt. Mit dem Weggang des entsprechenden Doktoranden von der Hochschule ist das Wissen dann verloren.
Die Idee bei der Gründung des Zentrum für Wärmemanagement (ZFW) vor 16 Jahren war, diese Mauer zumindest an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) einzureißen. Das Knowhow und die Infrastruktur der DHBW sollten der Forschung und Lehre sowie der Industrie in vollem Umfang zur Verfügung stehen.
Andererseits sollte in den Vorlesungen der Praxisbezug nicht verloren gehen. Gedacht wurde zunächst nur an Projekte mit kleinen und mittleren Betrieben. Mittlerweile bauen aber auch viele Großkonzerne auf das breite Wissen des Zentrums für Wärmemanagement.
* Marco Pennetti und Melanie Litzkow sind Spezialisten für Lebensdaueruntersuchungen von Leistungsbauelementen am Zentrum für Wärmemanagement Stuttgart (ZFW).
Artikelfiles und Artikellinks
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