Siliziumkarbid-Chips aus dem Saarland Bestätigt: SiC-Spezialist Wolfspeed kommt nach Deutschland
Jetzt ist es raus: Infineon-Konkurrent Wolfspeed wird eine 200-mm-Wafer-Fabrik für Siliziumkarbid-ICs im Saarland bauen. Es soll die weltweit modernste und größte Fabrik für die stark nachgefragten Leistungshalbleiter werden. Kostenpunkt: über zwei Milliarden US-Dollar.

US-Chiphersteller Wolfspeed wird im saarländischen Ensdorf wie berichtet eine „hochmoderne und hochautomatisierte“ 200-mm-Wafer-Fabrik für Leistungshalbleiter auf Basis von Siliziumkarbid (SiC) bauen. Das haben Vertreter der Industriepartner Wolfspeed und ZF sowie aus der Politik – Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck, die Ministerpräsidentin des Saarlandes, Anke Rehlinger, und Landeswirtschaftsminister Jürgen Barke – am Mittwoch auf einer Informationsveranstaltung in Ensdorf bekanntgegeben. Wolfspeed will mit dem Bau der Fabrik noch in diesem Jahr beginnen. Dafür hofft das Unternehmen auch auf die Genehmigung für staatliche Beihilfen aus dem europäischen IPCEI-Förderprogramm (Important Project of Common European Interest). ZF hat angekündigt, sich im Rahmen einer strategischen Partnerschaft mit „einer beträchtlichen finanziellen Investition“ am Neubau zu beteiligen. Dies sei Teil der Transformation des Unternehmens, dass sich verstärkt auf zukunftsträchtige Technologien ausrichten will.
In wenigen Jahren sollen am Standort des ehemaligen Kohlekraftwerks in Ensdorf hochmoderne SiC-Chips produziert werden, die besonders in der Automobilbranche sowie in der Energiegewinnung und -versorgung benötigt werden. Bei vollständigem Betrieb werde die Fabrik mehr als 600 Menschen beschäftigen, sagte Gregg Lowe, President und CEO von Wolfspeed. Zusammen mit dem parallel geplanten ZF-Entwicklungszentrum sollen rund 1.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Wenn die Produktion von SiC-ICs wie geplant ab 2027 anläuft, soll die neue Fab nach Angaben von Lowe über die Hälfte zum angepeilten Umsatzziel von dann 4 Milliarden US-Dollar (3,7 Mrd. Euro) beitragen. Zum Vergleich: Für das Geschäftsjahr 2022 wies das Unternehmen einen Umsatz von 746 Millionen Dollar (689 Mio. Euro) aus.
Seit der sogenannten Prä-Notifizierung im Dezember 2021 prüft die Europäische Kommission, ob das gemeinsame Projekt von Wolfspeed und ZF mit weiteren Projekten im Rahmen des IPCEI Mikroelektronik und Kommunikationstechnologien beihilfefähig ist. Die Genehmigung für diese Art der staatlichen Förderung steht noch aus.
Koordinator auf europäischer Ebene ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) unter Robert Habeck. Im Bundeshaushalt stehen dem BMWK mehrere Milliarden Euro zur Förderung solcher wichtigen Projekte zur Verfügung. Auch die saarländische Landesregierung wird das Projekt „mit einem substanziellen Beitrag“ unterstützen. Mit dem Ende 2022 beschlossenen Transformationsfonds sieht sie sich zukünftig gut aufgestellt. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt können die Unternehmen auf eigenes Risiko mit den Projekten starten. Dadurch ist es möglich, dass am Standort in Ensdorf erste Arbeiten beginnen können.
Von Kohle- und Montanindustrie zum Hightech-Standort
Angekündigt war zunächst lediglich eine nicht weiter spezifizierte Veranstaltung zur Zukunft des stillgelegten Kohlekraftwerks Ensdorf. Spätestens, seit das Bundeskanzleramt jedoch am Dienstag bestätigte, dass sich eine Entourage aus Bundeskanzler, Bundeswirtschaftsminister, Ministerpräsidentin und Landeswirtschaftsminister auf den Weg zum alten Industriestandort macht, war klar, dass es hier um Größeres geht als um die Ansiedlung von ein paar Startups – nämlich um die Vorstellung eines industriepolitischen Großprojekts der Mikroelektronik im Saarland.
Das – seit Mitte 2017 stillgelegte – Kohlekraftwerk steht somit gleichzeitig als Symbol für den Niedergang eines alten und wie für den Aufstieg eines neuen Industriezweigs: Hier die Kohlekonzerne, Sinnbild für schmutzige Stromerzeugung auf Basis fossiler Energieträger; dort die zukunftsträchtige Mikroelektronik-Fab, deren Leistungs-ICs Windkraftanlagen, Solarparks und Elektromobilität – und somit die Energiewende und mehr Klimaschutz – überhaupt erst ermöglichen.
Auf der Veranstaltung freute sich Bundeskanzler Olaf Scholz sichtbar über die Entscheidung für den Standort im Saarland: „Die Fertigungsanlage für hochmoderne Halbleiter von Wolfspeed und ZF ist ein wichtiger Beitrag zur Versorgungssicherheit der deutschen und europäischen Industrie. Dieses Projekt zeigt die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland, steigert die Resilienz unserer Industrie und steht für erfolgreichen Strukturwandel.“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck griff den zugespielten Ball auf: „Die Investitionen in Forschung und Entwicklung und die Produktion von modernen Chips haben Strahlkraft weit über das Saarland hinaus. Und auch für den Klimaschutz ist die Ansiedlung sehr wichtig. Wir brauchen hochmoderne Chips und innovative Leistungselektronik für die Nutzung erneuerbarer Energien und für die E-Mobilität.“
Halbleiter aus Siliziumkarbid: Game-Changer in der Elektromobilität
Wide-Bandgap-Leistungshalbleitern aus Siliziumkarbid fällt dabei eine besondere Rolle zu: Darauf basierende Chips ermöglichen eine nahezu verlustfreie Stromwandlung (99,9 % Effizienz), was bei der Elektrifizierung der Automobilbranche ein enormer Vorteil ist. „Mit diesen leistungsfähigen ICs könnten Elektroautos attraktiver werden, indem sie schneller laden, weniger Strom verbrauchen und somit eine größere Reichweite bei gleicher Batteriekapazität erzielen“, erklärt Stephan von Schuckmann, Vorstandsmitglied von Wolfspeed-Partner ZF. Auch andere Industrien wie die Solar- und Telekommunikationsbranche könnten Produkte mit deutlich verringerten Wandlungsverlusten anbieten – Wolfspeed spricht von einer Verbesserung der Effizienz im zweistelligen Prozentbereich.
Der Einsatz von Siliziumkarbid-Stromversorgungsgeräten nimmt in zahlreichen Märkten rasch zu, darunter in den Bereichen erneuerbare Energien und Energiespeicherung, Elektrofahrzeuge, Ladeinfrastruktur, industrielle Stromversorgungen, Antriebstechnik und drehzahlvariable Antriebe. Siliziumkarbid ermöglicht kleinere, leichtere und kostengünstigere Konstruktionen, die Energie effizienter umwandeln und so unzählige neue Anwendungen für saubere Energie ermöglichen.
„Produktionsstätte im Herzen Europas“
„Die neue Fabrik ist ein großer Schritt nach vorne für Wolfspeed und unsere europäischen Kunden, da wir das Ökosystem für die Halbleiterproduktion und -innovation verbessern“, sagte Lowe. Siliziumkarbid-Bauelemente hätten eine höhere Energieeffizienz und seien für den globalen Wandel hin zu einer nachhaltigen Elektrifizierung von entscheidender Bedeutung. „Diese neue Anlage wird entscheidend dazu beitragen, unsere Expansion in einer Branche mit Kapazitätsengpässen zu unterstützen, die sehr schnell wächst, insbesondere auf dem Markt für Elektrofahrzeuge. Für uns war es wichtig, eine Anlage im Herzen Europas zu haben, in der Nähe vieler unserer Kunden und Partner, um die Zusammenarbeit auch für die nächsten Generationen von Siliziumkarbidtechnologien zu fördern.“
Für EU-Verhältnisse erstaunlich hoch war das Tempo, mit dem das Projekt begleitet wurde: Nach ersten Sondierungen zwischen Wolfspeed, ZF und der saarländischen Regierung Anfang 2021 vergingen nur rund 14 Monate von der ersten Anfrage nach einer IPCEI-Förderung bei der EU Ende 2021 bis zur Zusage von Wolfspeed für den Bau der Fab Anfang 2023 – obwohl die abschließende Beihilfezusage noch aussteht. Robert Habeck sieht das als Erfolg an, mahnt aber auch: „Die EU muss die Beihilfeverfahren weiter beschleunigen.“ Lowe lobte bei der Veranstaltung das große Engagement, mit dem alle Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft zusammengearbeitet und das Projekt vorangetrieben hätten: „Das war und ist wirklich beeindruckend.“
Warum das Saarland als Standort?
Nach ersten Gesprächen mit Landesvertretern habe man sich „in das Saarland verliebt“, schmunzelt Lowe. Für die Entscheidung pro Ensdorf dürften jedoch eher rationale Gründe gesprochen haben: So liegt der Standort strategisch günstig im Dreiländereck zwischen Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten. Die Leistungs-ICs lassen sich von hier gut über Europa verteilen – etwa an die deutschen, französischen und spanischen Auto- und Zughersteller oder Produzenten von Anlagen für erneuerbare Energien.
Für die Region ist die Ansiedlung von Wolfspeed wie ein Sechser im Lotto. Das kleinste Bundesland gilt seit dem schleichenden Niedergang der Kohle- und Montanindustrie als eher strukturschwach. Zuletzt hat der US-amerikanische Autobauer Ford auch noch bekannt gegeben, seinen großen Fertigungsstandort in Saarlouis aufzugeben – vordergründig ein weiterer Tiefschlag. Doch wie die Saarbrücker Zeitung meldet, verhandelt Ford bereits mit mehreren Interessenten über eine Übernahme der Werkshallen – darunter der BYD-Konzern, seines Zeichens der größte chinesische Elektroautobauer.
Sollte der Deal zustande kommen, wäre auch dies ein Sinnbild: Während Ford den Umstieg zur E-Mobilität schlicht verpennt hat, übernehmen die Chinesen und produzieren im Mutterland des Automobils fortschrittliche Elektroautos. Angesichts der neuen Konkurrenz werden sich die europäischen Fahrzeughersteller warm anziehen müssen.
Für Wolfspeed hingegen wäre das eine Jubelmeldung: Mit BYD stünde ein Großabnehmer für die eigenen Produkte quasi in Laufweite der eigenen Werkstore.
Leuchtturmprojekt mit erhoffter Sogwirkung
Laut Ministerpräsidentin Anke Rehlinger mache eine solche Hochtechnologie-Ansiedlung das Saarland zu einem der begehrtesten Standorte für Elektromobilität und grüne Energiewirtschaft: „Dieses Projekt ist ein großer Transformationsmotor und ein Jobmotor für eine traditionell industrielle Region.“ Erstmals werde das Saarland zu einem wichtigen Mikroelektronikstandort. Darüber hinaus bündele es wichtiges Know-how in Europa und trage durch die Senkung des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen zur Umsetzung des europäischen Green Deals bei. „Wir sind stolz darauf, dass unsere Region eine so wichtige Rolle beim Vorantreiben der Halbleiterinnovation Siliziumkarbid spielt.“
Auch Landeswirtschaftsminister Jürgen Barke ist überzeugt, dass es nicht bei 1.000 neuen Arbeitsplätzen bleiben wird: „Die Ansiedlung der Wolfspeed-Fab und des ZF-Forschungszentrums sind Gamechanger für die Leitindustrie Elektromobilität. Sie werden eine Sogwirkung entfalten, die weitere zukunftsorientierte Betriebe anziehen wird.“ ZF hatte bereits 2022 angekündigt, sein Werk in Saarbrücken solle zum Leitstandort für elektrische Antriebssysteme werden. Laut ZF-Vorstand Stephan von Schuckmann seien Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe geplant, um künftig auch Antriebstechnik für reine Elektrofahrzeuge zu entwickeln.(me)
Zum Förderinstrument IPCEI
Ein Important Project of Common European Interest (IPCEI) ist ein europäisches Förderinstrument, mit dem europäische strategische Investitionsprojekte durch die beteiligten Mitgliedstaaten gefördert werden können. Die überwiegend privatwirtschaftlich finanzierten Projekte werden mit staatlichen Mitteln unterstützt, um komplexe investitionsintensive Entwicklungsvorhaben schneller auf den Weg zu bringen. Voraussetzung für eine Förderung ist, dass die Projekte den strategischen Zielen der Europäischen Union folgen, mehrere europäische Mitgliedstaaten beteiligt sind und positive Effekte (Spill-over-Effekte) auf den Binnenmarkt erwarten lassen. Die Förderung erfolgt durch die jeweiligen Mitgliedstaaten und findet in Einklang mit dem EU-Beihilferecht statt.
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